Türkei führt Haftstrafen für Verbreitung von "Falschnachrichten" ein

Türkei führt Haftstrafen für Verbreitung von "Falschnachrichten" ein
Das umstrittene Gesetz zielt insbesondere auf Online-Medien und -Netzwerke ab.

Das türkische Parlament hat ein umstrittenes Gesetz verabschiedet, das Haftstrafen für die Verbreitung "falscher oder irreführender Nachrichten" vorsieht. Die Mehrheit der Abgeordneten stimmte am Donnerstagabend dafür, dass Gerichte akkreditierte Journalisten sowie normale Nutzer von Online-Netzwerken zu ein bis drei Jahren Gefängnis verurteilen können.

Acht Monate vor der Parlamentswahl verschärft die Regierung damit ihr ohnehin hartes Vorgehen gegen Medien. Die Neuregelung stößt im In- und Ausland auf Kritik, etwa beim Europarat.

Außer gegen Zeitungen, Radio und Fernsehen richtet sich das neue Gesetz vor allem gegen Online-Netzwerke und Online-Medien. Sie werden aufgefordert, Nutzer, denen die Verbreitung von "Falschnachrichten" vorgeworfen wird, zu denunzieren und deren Daten weiterzugeben.

"Bleibt nur noch eine Freiheit"

Der Abgeordnete Burak Erbay von der säkularen CHP hob hervor, das neue Gesetz schränke insbesondere die Kommunikation junger Menschen ein. "Ich möchte mich an meine Brüder wenden, die 15, 16, 17 sind und die 2023 über das Schicksal der Türkei entscheiden", sagte Erbay im Parlament. "Euch bleibt nur noch eine Freiheit - das Telefon in Eurer Tasche."

Junge Leute kommunizierten über Online-Netzwerke wie Instagram und Facebook. "Wenn das Gesetz hier das Parlament passiert, könnt Ihr Euer Telefon auch so kaputt machen", fügte Erbay hinzu und zerschlug sein Handy im Parlamentsplenum mit einem mitgebrachten Hammer. Die Abgeordnete Meral Danis Bektas von der prokurdischen Oppositionspartei HDP sagte, das Gesetz erkläre "der Wahrheit den Krieg".

Medien weitestgehend unter staatlicher Kontrolle

Die meisten türkischen Zeitungen und Fernsehsender waren bereits unmittelbar nach dem Putschversuch 2016 unter die Kontrolle der Regierung gestellt worden. Online-Medien blieben hingegen weitgehend frei.

Später zwang die Regierung Onlinedienste wie Facebook und Twitter allerdings dazu, örtliche Vertreter einzusetzen, die Gerichtsanordnungen zur Entfernung beanstandeter Inhalte schnell umsetzen. Staatschef Recep Tayyip Erdogan kritisierte im Dezember, Online-Netzwerke hätten sich "in eine der Hauptbedrohungen für die heutige Demokratie verwandelt".

Die Beratungen über das Gesetz hatten Anfang Oktober begonnen. Zu den 40 Artikeln des "Pressegesetzes" hatte es zahlreiche Änderungsanträge der Opposition gegeben, die von einem "Zensurgesetz" gesprochen hatte.

Artikel 29 sieht Haftstrafen zwischen einem und drei Jahren vor für die "Verbreitung falscher oder irreführender Informationen über die innere und äußere Sicherheit des Landes" vor, außerdem für Nachrichten, "die der öffentlichen Gesundheit schaden, die öffentliche Ordnung stören sowie Angst oder Panik in der Bevölkerung verbreiten könnten".

Parlamentswahlen 2023

Der Europarat, dem auch die Türkei angehört, kritisierte Anfang Oktober die vage Definition von "Desinformation" in dem neuen Gesetz. Die damit einhergehende Androhung von Haftstrafen könne "vermehrte Selbt-Zensur", insbesondere mit Blick auf die Parlamentswahl im Juni 2023, zur Folge haben.

Der Gesetzentwurf war im Mai von Abgeordneten Erdogans AKP eingebracht worden. Der Präsident will sich im kommenden Jahr im Amt bestätigen lassen. Es dürfte für ihn die schwierigste Wahl seit Beginn seiner Amtszeit vor fast zwei Jahrzehnten werden. Die Umfragewerte seiner Regierungspartei sind wegen einer galoppierenden Inflation und einer Währungskrise auf einem historischen Tief.

Platz 149 von 180 bei Pressefreiheit

Nichtregierungsorganisationen prangern regelmäßig die Erosion der Pressefreiheit in der Türkei an. In der Rangliste der Pressefreiheit, die von der Organisation Reporter ohne Grenzen erstellt wird, liegt die Türkei aktuell auf Platz 149 von 180. Der Medienrechtsaktivist Veysel Ok kritisierte, mit dem neuen Gesetz könnten nun alle Regierungskritiker verfolgt werden - "die Opposition, die NGOs, Juristenverbände, Journalisten und normale Bürger".

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