Winterzeit in Österreich
von Gabriele Resch
Meine Großmutter und ich waren mit großer Begeisterung auf den (Ab)Wegen von Ferdinand Raimund´s Waldheimat Gutenstein unterwegs. In der Adventzeit gingen wir mit Leidenschaft in den Wald, der das Haus meiner Großeltern umsäumte. Für den Bauernmarkt schnitten wir Tannenzweige, pflückten Erika und sammelten Tannenzapfen für weihnachtliche Gestecke.
Eines winterlichen Nachmittags schlug das Wetter während unserer Wanderung rasant um, es begann zu schneien und die Windböen wurden immer stärker. Wir trotzten der Kälte, die immer heftiger in unsere Finger kroch und ließen uns auch nicht von den lauter und bestimmter werdenden Rufen meines Großvaters beirren – wir überhörten diese in wortloser Einstimmigkeit. Eines der vielen Gebote meiner Großmutter lautete: Durchhalten bis zum Ziel. Nun muss ich aber erwähnen, dass meine Großmutter nicht unbedingt den Witterungsverhältnissen angepasstes Schuhwerk trug – eigentlich habe ich sie nie in anderen Schuhen gesehen – sie wählte stets High Heels – im Wald entschied sie sich dann für die in ihren Augen bequemere Variante – Pumps mit Plateausohle. Ich habe stets mit großer Bewunderung und maßlosem Erstaunen die enorme Beweglichkeit meiner Oma betrachtet, die sie wie ein Reh die Anhöhen hinauflaufen ließ und das in diesen Schuhen! Diese Sohlen seien im Wald sicher – meinte meine Oma.
Ohne auf die warnenden, besorgten und bereits ungeduldigen Rufe von Opa, haben Oma und ich uns weiter mit dem Pflücken von Geäst und Erika beschäftigt. Meine Großmutter kämpfte gegen den beginnenden Schneesturm, um einige besonders schöne Zapfen zu ergattern. Ich versuchte dicht hinter ihr zu bleiben, um den Jutesack, gefüllt mit unserer Ausbeute, nicht zu verlieren. In einem kurzen Augenblick der Unaufmerksamkeit rutschte meine Großmutter ein wenig aus und ich versuchte sie zu stützen. Da ich aber viel zu schräg stand, auf die tanzenden Schneeflöckchen vor meiner Nase achtete, setzte ich mich ebenfalls auf den moosbewachsenen Waldboden der Anhöhe. Nun saßen wir beide da und schauten uns an. Wir begannen zu lachen, unsere Haare hatten viele Schneeflocken gefangen und glichen nun einer weißen Puderzuckerperücke oder einer feinen Wattehaube. Trotz unseres Lachens war es unglaublich still und friedlich rund um uns und wir hatten den Eindruck, dass es nur uns beide in dieser Zauberlandschaft gab. Wir saßen inmitten von Moos, Geäst und unserem gesammelten Erika. Trotz der eisigen Kälte, unseren rot angelaufenen Fingern und Nasen war uns warm ums Herz. Wir blickten uns um und konnten den langsam aufsteigenden Rauch aus dem Kamin vom Haus meiner Großeltern zwischen den Baumwipfeln von Weitem erkennen. Wir gaben uns die Hände und langsam zogen wir uns gegenseitig in die Höhe. Als wir uns umdrehten, erschraken wir – vor uns stand ein in Schnee gehüllter Mann. Sein besorgter und wenngleich auch tadelnder Blick war nicht zu übersehen: mein Großvater - er ließ es sich nicht nehmen, seine beiden Damen zu suchen und in die Wärme zu führen. Er half den Jutesack und uns beide wohlbehalten in die gute Stube zu bringen, wo bereits frisch aufgebrühter, heißer Kräutertee auf Oma und mich wartete.
Als Oma und ich dann begannen die Gestecke in der Stube zu binden, scheute mein Großvater keine Mühe, überschüssige Äste geduldig und unermüdlich zu kehren. Die Erleichterung seine beiden Damen wohlbehalten wieder zu haben, war ihm anzusehen. Das Wohnzimmer im Haus meiner Großeltern vermittelte Ruhe, Geborgenheit und Harmonie. Die Zeit vor Weihnachten in dem kleinen Holzhaus in Gutenstein hatte eine besondere Atmosphäre: Der Geruch nach Äpfeln mit Zimt, die im Kamin gebraten wurden, die Kräuter, die mit heißem Wasser aufgebrüht, einen Duft verströmten. Dies ist mir noch heute in Erinnerung geblieben. Wir hatten keinen Strom im Haus. Der Kerzenschein vermittelte eine wohlige Wärme und einen behaglichen Glanz rund um den großen Holztisch. Der helle Lichtschein strahlte im Haus und wärmte, wenn es draußen kalt war. Die Schneeflöckchen, die rascher und dichter zu tanzen begonnen hatten und die Kristalle der Schneesterne, die an den Fenstern unglaubliche Kunstwerke bildeten und Geschichten erzählten – man musste nur genau lauschen, dann konnte man die Worte der Eisfee verstehen.
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