Wehe dem, der nicht lügt

Wehe dem, der nicht lügt
Wir lügen zwischen 50- und 200-mal pro Tag. Ein Germanist weiß, weshalb.

Lügen, sich Vorteile durch falsche Behauptungen zu verschaffen, gilt als moralisch verwerflich. Ungeachtet dessen ist die Lüge allgegenwärtig und schwer in Mode, nimmt man die Berichte über korrupte Politiker, Finanzmanipulationen, gekaufte Zeitungsinterviews und unbekümmert abgeschriebene Dissertationen als Maßstab.

Die Erforschung der Lüge scheint also ein Gebot der Stunde. Jörg Meibauer vom Deutschen Institut von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz wird in den kommenden zwei Jahren im Auftrag der Volkswagenstiftung Opus magnum eine umfassende Lügen-Studie verfassen, der Bedeutung des Phänomens angemessen. „Wir lügen 50- bis 200-mal pro Tag. Die Leute unterschätzen das, sie neigen dazu, zu behaupten, kaum oder nur ein Mal im Jahr zu lügen.“
Lügen ist zutiefst menschlich, Frauen und Männern tun es gleichermaßen. Meibauer: „Die Voraussetzung, um zu lügen, ist die Einsicht, dass auch andere Leute Gefühle und Absichten haben. Wenn Kinder nicht lernen zu lügen, dann fällt es ihnen später auch schwer, Ironie oder Metaphern zu verstehen.“

„Die erste Lüge ist vermutlich nicht viel jünger als die erste Verwendung von menschlicher Sprache“, sagt der österreichische Germanist Hermann Reichert. Gelogen wird also seit rund 1,5 Millionen Jahren. Schon Homo erectus wusste Laute und Handzeichen zu verwenden, um seine Gefährten in Richtung einer vermeintlich tollen Futterquelle zu schicken, und wenn alle weg waren, „zur richtigen Stelle zu gehen“, sagt Meibauer.

Bullshit

Menschen lassen sich gern täuschen, „be-bullshitten“, ist der Fachausdruck. „Bullshit“ geht auf die Argumentation für den Angriff auf den Irak 2003 durch US-Präsident George W. Bush zurück, deklariert als Feldzug gegen den Terror. Und gestützt auf „Fakten und Beweise“, wie die angebliche Existenz von Massenvernichtungswaffen. Schon kurz nach dem Krieg war klar: Eine Melange aus Halbwahrheiten, Märchen und Lügen war der Weltöffentlichkeit serviert worden. Wie konnte Bush damit durchkommen? Meibauer: „Weil es Unterhaltung war. Das funktioniert nicht anders als beim Dorf-Klatsch. Der ist für die Gemeinschaft total wichtig. Alle wissen, da ist Erfundenes dabei, aber die Leute machen es gern, es unterhält sie.“ Lügen sei auch sozialer Kitt, und das sei der Grund, weshalb die Lüge niemals aussterben werde.

Sind wir verlogener als früher? „Ich bin skeptisch“, meint Meibauer. „Im Dorf musste man genauso aufpassen, sich nicht zu verraten, wie bei der Internet-Kommunikation. Der Mensch in seiner Grundausstattung ist sehr stabil, der verändert sich nicht so rasch.“

Natur: Wer noch lügt

Pflanzenwelt

Sexualtäuschblume ist ein etwas sperriger Ausdruck für die listige Fliegen-Ragwurz, eine seltene heimische Orchidee lichter Föhrenwälder. Ihre samtig- dunkelbraune dreiteilige Blüte mit dem gelbem Muster und den beiden deutlichen Seitenlappen wird von einer Grabwespe bestäubt, die meint, ein Insektenweibchen zu begatten.

Tierreich

Raben sind unbeliebte, teils gefürchtete Vögel, aber auch sehr intelligent. Raben täuschen ihre Artgenossen, wenn es darum geht, zuvor verstecktes Futter zu verheimlichen. Dazu müssen sie sich in andere hineinversetzen.

Kommentare