Wunderwerkzeug Hand: Das besitzen nur die Menschen

Filigranes Handwerk: Katie Grubers Hände beim Ringfeilen
Tasten, fühlen, kneten, beten, lenken, schreiben, schlagen, streicheln, feilen: Ein Hoch auf die menschliche Hand.
Von Uwe Mauch

Ihre Hände, versichert Katie Gruber, „sind die direkte Verbindung zum Schmuck. Mit ihnen vollziehe ich an der Werkbank meine Ideen“. Mit einem Lächeln, das große innere Ruhe und Zufriedenheit ausdrückt, sitzt die Goldschmiedin und Schmuckdesignerin an der Werkbank in ihrem Wiener Atelier, um an der Ausformung eines Rings zu feilen.

Wunderwerkzeug Hand: Das besitzen nur die Menschen

Katie Gruber in ihrem Atelier in Wien-Neubau

Meist hat sie eine ungefähre Idee von einem neuen Schmuckstück – und dann lässt sie diese einfach von ihren Händen ausführen. Ein Hoch auf die menschliche Hand! Sie ist nicht nur dazu da, andere Hände zu schütteln, eine Faust zu ballen oder etwas unter der Hand zu regeln, wie wir manchmal sagen. Sie hat Hunderte andere Funktionen. Bei Künstlern und Kunsthandwerkern wie Katie Gruber, die ihre Kindheit an der malerisch zerklüfteten Felsküste der südwestenglischen Grafschaft Cornwall verbracht hat, verhelfen sie auch der unbändigen Kreativität zum Durchbruch.

Ringe aus den Edelmetallen Silber und Gold gehen besonders oft durch ihre Hände, erzählt die Schmuckdesignerin.

Mit ihrem Mann Georg Matejovsky hat sie vor fünf Jahren das Wiener Label Katie g. Jewellery gegründet – und das bis heute nie bereut. Im Gegenteil: „Wir sind von Anfang an organisch schön gewachsen.“ Ihre Arbeit mit den Händen sieht Katie Gruber weiterhin als ein großes Geschenk: „Es ist für mich alleine der Gedanke schön, dass ich mir meinen Traum erfüllen konnte und dass ich von diesem Traum auch leben kann.“

"Meine Hände sind die Verbindung zu meiner Kreativität."

Handverlesene Unikate

So einzigartig Hände sind, keine Hand gleicht bekanntlich der anderen, so unikat soll auch ihr Schmuck sein: „Ich zelebriere die Unregelmäßigkeit. Ich arbeite auch nur mit zertifizierten recycelten Materialien.“

Eine Kerbe im Rohmaterial ist da kein Ausschließungsgrund, betont sie: „Wenn wir die zerklüfteten Felsen an der Küste in Cornwall als schön erachten, warum soll nicht auch ein Schmuckstück oder eine Hand, die im Laufe eines längeren Lebens Erfahrung widerspiegelt, schön sein.“

Ihre Kundschaft, mehrheitlich Frauen, sucht offensichtlich genau dieses Handverlesene: „Unsere Kunden sagen, dass sie Schmuck tragen möchten, den man nicht überall bekommen kann. Sie zeigen Interesse an meinem Handwerk.“

Apropos Handwerk: Gelernt hat Katie Gruber ihren Beruf im Wiener Goldschmiedelehrgang. Daran anschließend hat sie eine intensive Schmuckausbildung an der renommierten „Alchimia“ in Florenz absolviert und dort zu ihrem heutigen künstlerischen Credo gefunden. In Zeiten von Instagram ist dieses beinahe eine gesellschaftspolitische Ansage. Salopp formuliert: Pfeif auf die permanente Perfektion! Die Welt ist nun mal auch unregelmäßig. Nicht alle Menschen haben goldene Hände, es gibt auch solche mit zwei linken Händen, die haben möglicherweise ganz andere Qualitäten.

Formschön sind ihre Ringe an rechten ebenso wie an linken Händen, wie ein Besuch ihres Ateliers in Wien-Neubau beweist (www.katiegruber.com). Berührend ist für die Kunsthandwerkerin der Gedanke, dass einige Kunden Ehe- oder Verlobungsringe tragen – und somit ihre Kreationen an deren Fingern weiterleben können. In guten wie in schlechten Zeiten.

Wunderwerkzeug Hand: Das besitzen nur die Menschen

Tägliches Handwerk: Wolfgang Frey in der Kabine des SK Rapid Wien

Er massiert die Wadeln der Profifußballer

Sonntag. Der Tag des Herrn, nicht so für Wolfgang Frey, denn der hat heute nicht frei. Dem Masseur des SK Rapid Wien steht ein langer, ein hochaufregender Arbeitstag bevor. Viel steht auf dem Spiel, Rapid tritt heute im eigenen Stadion in Hütteldorf gegen den regierenden österreichischen Fußballmeister und aktuellen Tabellenführer aus Salzburg an – und darf aufgrund der wenig erfolgreichen Leistungen im Herbst eigentlich nicht  mehr verlieren.

Bereits kurz vor 9 Uhr betritt der längst dienende Rapid-Angestellte seinen Arbeitsplatz. Dieser befindet sich in den fensterlosen Katakomben des Allianz-Stadions, unterhalb der Haupttribüne, Tür an Tür mit der Kabine der ersten, der Profimannschaft von Rapid.

„Sieben Füße“ zu tapen

Seine Aufgabe vor dem Vormittagstraining beschreibt der 53-jährige Betreuer so: „Alle Tapes, Kinesio-Tapes und Muskel wärmenden Salben für die Spieler sind sorgfältig vorzubereiten – und dann auch anzuwenden.“ Anders als noch zu Zeiten eines Jan Åge Fjörtoft oder eines Peter Schöttel kommen nicht mehr alle Spieler zum Massieren. Derzeit hat Wolfgang Frey beispielsweise „sieben Füße“ zu tapen.

Wunderwerkzeug Hand: Das besitzen nur die Menschen

Der Masseur kennt dessen ungeachtet alle Muskelfasern, alle Wehwehchen und nebenbei auch die Namen der Kinder der Rapid-Väter. Er tastet, er knetet, er massiert mit großer Routine. „Meine Hände“, erklärt er nicht pathetisch, aber seinem Alltag entsprechend, „sind das Werkzeug für meine Arbeit. Sie sind ein wichtiges Sinnesorgan, vor allem dann, wenn es darum geht, eine Muskelverletzung zu erkennen“. Solche Verletzungen und auch Blessuren sind im Profi-Fußball aufgrund der hohen Belastungen gar nicht selten.

Nach dem Training werden Wolfgang Frey, sein Masseurkollege und die beiden Physiotherapeuten noch einmal alle Hände voll zu tun haben. Danach fährt die Mannschaft routinemäßig zum Mittagessen und zur Mittagsruhe in ein nahe gelegenes Hotel. Das ist die Zeit, in der sich die Betreuer Zeit für den einen oder anderen Langzeit-Verletzten nehmen und eventuell noch einen Bissen essen.

"Meine Hände sind für mich ein wichtiges Werkzeug."

„Rapid, des is mei Lebm“

Als Wiener Sängerknabe aus dem Waldviertel stand Masseur bei einem Profi-Fußballverein nicht ganz oben auf seinem Berufe-Wunschzettel. Nach der Matura hat er an der Universität Wien Medizin und Rechtswissenschaften studiert und den ersten Studienabschnitt erfolgreich abgeschlossen.

Das Kurieren mit seinen Händen hat ihn schon als Student interessiert. An Hütteldorf war allerdings noch immer nicht zu denken: „Begonnen habe ich bei der Vienna.“ Doch im Profifußball geht es oft schneller, als man glaubt. Frey sah Mannschaften ein Spiel nach dem anderen gewinnen und in der nächsten Saison wochenlang verlieren, er sah Stimmungen umschlagen und Trainer kommen und gehen. Für einen, Ernst Dokupil, arbeitete er erst bei der Vienna auf der Hohen Warte und dann eben bei Rapid.

Nach der Rückkehr der Spieler ins Stadion steigt überall im Kabinentrakt der Adrenalin-Spiegel. Für den Masseur heißt das: selbst größtmögliche Ruhe bewahren und mit seinen Zauberhänden gut trainierte Muskelpartien bestmöglich aktivieren. Alles ist ganz genau getaktet: „Für ein Tape habe ich im Schnitt zwei Minuten Zeit.“

Der Insider verrät kein Geheimnis: „Das Aufwärmen selbst spielt sich schon lange nicht mehr nur draußen auf dem Rasen ab, sondern zunehmend drinnen in der Kabine und im Kraftraum.“
Punkt 17 Uhr wird das Top-Spiel der 19. Bundesliga-Runde angepfiffen. In diesem Moment kann Wolfgang Frey mit seinen Händen eigentlich nur mehr eines tun: sie falten – und beten.

Der Masseur, der gerne Bruce Springsteen hört und ganz nebenbei die Vereinshymne getextet hat („Rapid, des is mei Lebm“), hofft nicht nur auf ein gutes Spiel seiner Burschen, er wünscht auch allen, dass sie sich nicht auf dem Spielfeld wehtun. Damit verbunden sind naturgemäß persönliche Überlegungen: „Wenn wir gewinnen und alle gesund bleiben, ist die Stimmung in den nächsten Tagen bei uns in der Kabine natürlich deutlich besser.“

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Sie sieht wenig, aber sie fühlt viel: Emine Cam untersucht Frauen im Dienste der Vorsorge

Sie tastet die Brüste der Patientinnen ab

Es ist ein sensibler, ein intimer und im wahrsten Sinne des Wortes berührender Moment, wenn Emine Cam im Untersuchungszimmer die Brust einer ihr fremden Frau berührt. Selten ist ihr Gegenüber entspannt, wenn die medizinisch-taktile Untersuchung in der Wiener Privatklinik Döbling  beginnt.

Emine Cam sieht die Patientin nur schleierhaft, denn sie kann aufgrund einer seltenen Krankheit ihrer beiden Augen nur mehr Umrisse ihrer Umgebung wahrnehmen. Aber sie spürt jede Anspannung sofort. Daher beginnt sie ihre Arbeit mit einer Charmeoffensive. Und Hand aufs Herz, wenn die 30-jährige Wienerin zu plaudern beginnt, wird es selbst für notorische Grantler so gut wie unmöglich, ernst zu bleiben.

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Cam beherrscht dieses Multitasking derart gut, dass es den Frauen gar nicht auffällt, wenn sie eine Unregelmäßigkeit in einer Brust ertastet. Selbstbewusst sagt sie: „Bei mir schöpfen sie diesbezüglich nie Verdacht, weil ich mir immer sicher bin.“

Zentimeter für Zentimeter und Schicht für Schicht arbeitet sich die sehschwache Frau durch das weibliche Fett- und Bindegewebe, bis hinunter zum Brustkorb. Dafür benötigt sie nicht nur Fingerspitzengefühl, sondern auch Zeit, je nach Größe der Brust 30 bis 45 Minuten.

Keine Panik! Nicht jede Auffälligkeit, die sie ertastet, muss gleich ein Karzinom sein, es kann sich auch um  einen gutartigen Tumor handeln. Die Untersucherin kann und darf dazu keine Aussagen treffen, sie arbeitet aber dem Facharzt für Frauenheilkunde in der Döblinger Privatklinik zu, der dann seine Diagnose  erstellt.

Angesprochen auf ihren außergewöhnlichen Tastsinn erklärt Emine Cam wohlüberlegt: „Die Hände sind ein wichtiger Bestandteil meines Körpers. Was ich mit meinen Augen nicht wahrnehmen kann, nehme ich mit meinen Händen wahr.“

"Was ich mit meinen Augen nicht wahrnehme, das nehme ich mit meinen Händen wahr."

In der Sprache der Mediziner wird gerne der Fachbegriff „Plastizität des Gehirns“ bemüht. Für uns Normalsterbliche übersetzt: Areale, die im Gehirn für das Sehen reserviert sind, dienen bei blinden  Menschen dem Hören und Tasten.

Es gibt noch Restplätze

Seit dem Jahr 2016 ist Cam beim Sozialunternehmen Discovering Hands angestellt. Dieses wurde ein Jahr zuvor als GmbH gegründet, nach deutschem Vorbild. Dort setzt ein Gynäkologe schon seit einigen Jahren auf die helfenden Hände der Blinden.

Derzeit läuft eine groß angelegte Studie, die vom Gesundheitsministerium eingefordert wurde. Insgesamt sollen 1000 Frauen untersucht werden, um herauszufinden, wie verlässlich Emine Cam und ihre drei ebenso ausgebildeten Kolleginnen  den Gynäkologen zur Hand gehen können. Cam hat dazu eine klare Meinung: „Ich weiß, dass ich  die Ärzte mit meiner Arbeit toll unterstützen kann.“ Klingt selbstbewusst, ist aber auch plausibel, hat sie doch deutlich mehr Zeit und muss sich in ihrem Leben mehr als Sehende auf ihre Hände verlassen.

Bis dato wurden knapp 800 Frauen abgetastet. Wer also Interesse hat, Emine Cam kennenzulernen, sollte schnell sein. Sie ist auch marketingtechnisch ganz der Profi: „Beeilen Sie sich, es gibt noch wenige Restplätze.“ Eine Anmeldung bei den Discovering Hands ist jederzeit möglich: https://www.discovering-hands.at/startseite.

„Meine Ausbildung hat ein Jahr lang gedauert“, erklärt Cam. „Davon waren drei Monate Praktikum.“ In Deutschland hat eine erste Studie ergeben, dass die Hände der Medizinisch-Taktile Untersucherinnen tatsächlich wertvolle Daten in der Brustkrebs-Früherkennung liefern können. Sollte man in Österreich zu einem ähnlichen Resultat kommen, darf Emine Cam davon ausgehen, dass sie ihren Beruf weiter ausüben kann.

Zu wünschen wäre es ihr: „Für mich wäre es wichtig, dass unser Beruf anerkannt wird. Er bereitet mir große Freude. Und ich frage mich auch: Warum sollen blinde und sehschwache Menschen immer nur als Telefonisten, Klavierstimmer oder Korbflechter arbeiten. Wir haben doch noch ganz andere Qualitäten.“

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Ihre Hände helfen sowohl in der Musikschule als auch in der Reha-Klinik

Sie lehrt Klavierspielen und entspannt Patienten

Geübt und leidenschaftlich streichen ihre beiden Hände über die Tastatur des Klaviers. Wie von Zauberhand treffen alle zehn Finger immer den richtigen Ton. Insofern sagen uns die Hände von Anna Jenny: Diese Frau, die auf einem Bauernhof im Großen Walsertal in Vorarlberg aufgewachsen ist und heute auf der anderen Seite der Republik lebt und arbeitet, hat ihren Beruf klug gewählt.

Jenny arbeitet als ausgebildete Musikpädagogin in der Musikschule in der Weinviertler Gemeinde Staatz. Vier Tage die Woche, denn immer montags ist sie in der Reha-Klinik in Bad Pirawarth als Heilmasseurin im Einsatz, womit sich auch eine schöne Klammer  ergibt: „Meine Hände sind das Verbindende zwischen meinen beiden Berufen.“

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Helfende Hände

Es sind in beiden Berufen auch helfende Hände: den Musikschülern kann Anna Jenny viel von ihrer Erfahrung mit auf den Weg geben, und es freut sie ebenso, „wenn ich einem Patienten etwas Gutes tun kann“. Der Direktor der Raika-Filiale in ihrem Heimatort hat sie schon einmal gefragt, ob sie denn ihre Hände nicht versichern lassen möchte, doch das ist der Klavierspielerin dann doch des Guten zu viel. Lieber macht sie darauf aufmerksam, dass Hände keine Stimme haben und dennoch immer etwas zum  Ausdruck bringen können: „So wie ich in die Tasten meines Klaviers gehe, so klingt das auch.“ Gleichzeitig sind die Hände gute Sensoren: „Das merke ich immer, wenn ich mit meinen Händen über den Rücken eines Patienten fahre und seine Verspannung spüre.“

Schöne Momente erlebt sie in ihrem zweiten Beruf immer dann, wenn sie durch ihre berührende Arbeit Schmerzen lösen kann und Menschen entspannter vom Massagetisch aufstehen. Was, wie sie selbst erleichtert sagt, schon die Regel und nicht die Ausnahme ist.

"Meine Hände sind das Verbindende zwischen meinen zwei Berufen."

In beiden Berufen, erklärt die Hand-Arbeiterin, kommt es auf die richtige Dosierung an. Vorsichtig tastet sich die Heilmasseurin vor: „Am Anfang einer Massage geht es in erster Linie ums Spüren und Fühlen.“

„Kräftig zupacken“

Die Musik hat der Bauerntochter schon als Kind große Freude bereitet. „Wir mussten am Hof kräftig anpacken, aber das hat meinen Händen nichts getan.“ Mit zehn geht sie in die Musikhauptschule, mit 14 ins Musikgymnasium und nach der Matura zum Studium an die Musikuniversität in Wien. Danach hat sie den Master of Piano Performance in Colorado gemacht.
Immer ist Anna Jenny, die neben dem Klavier auch Kirchenorgel und Bratsche spielen gelernt hat, dem Rat anderer Menschen gefolgt. „Dadurch hat mir lange etwas gefehlt.“ Bis sie im Jahr 2011 mit der Ausbildung zum Medizinischen Masseur und Heilmasseur begonnen hat. Seither schließen sich ihre beiden Passionen zu einem Kreis.

Es freut sie, dass die Klinik in Bad Pirawarth  jüngst ein Piano angeschafft hat. Auf diesem soll die Musikerin und Masseurin für die Patienten ein Konzert spielen, begleitet von Schülern der Musikschule. Das Lachen der Kinder und der Älteren: oft sind in solchen Momenten Anna Jennys Hände mit im Spiel.

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