Wie ein alkoholkranker Polizist erfolgreich gescheitert ist
Josef Burger wird den einen Moment nie vergessen, in dem er in den Spiegel einer U-Bahn-Toilette blickte und begriff, wie ernst die Lage war. Wochenlang schon hatte er in dieser übernachtet: „Ich habe kapiert, dass es so nicht weitergehen kann“, erzählt der 48-Jährige heute.
Noch am selben Nachmittag fuhr er ins Wiener Anton-Proksch-Institut, Europas größte Suchtklinik, und meldete sich für einen Alkoholentzug an. Seitdem sind rund 15 Jahre vergangen – und Burger hat keinen Tropfen mehr getrunken. Seine Erfahrungen hat er in einem Kabarett-Programm verarbeitet, mit dem er seit über zehn Jahren auftritt.
Tabuthema
Anfang 2020 wird die Geschichte, wie er sich zurück ins Leben gekämpft hat, im österreichischen Privatfernsehen ausgestrahlt. Dann startet der Sender Puls 4 mit einer TV-Show, in der Menschen vor Publikum von vermeintlichen Niederlagen erzählen. Angefangen vom Burn-out bis hin zur Insolvenz aufgrund einer skurrilen Geschäftsidee.
Alles in allem Rückschläge, über die niemand gerne spricht. Denn Misserfolge haben in unserer Gesellschaft noch immer ein schlechtes Image – auch wenn sich langsam etwas ändert.
Diese Entwicklung vorantreiben will Dejan Stojanociv. Er hat vor fünf Jahren das Konzept der "Fuckup Nights" von Mexiko nach Wien geholt. So werden die weltweit stattfindenden Veranstaltungen genannt, bei denen vorwiegend Menschen aus dem Wirtschaftsbereich – von Start-up-Gründern bis etablierten Unternehmern – vor anderen über ihr persönliches „Fuck-up“, also Versagen, sprechen. "Es geht nicht darum, Fehler zu zelebrieren, sondern aus diesen zu lernen und anderen Mut zu machen“, sagt Stojanovic.
Deswegen unterstützt er das Casting zur Scheitern-Show; wenngleich das Format für diese leicht adaptiert wurde: Niederlagen werden in unterschiedlichen Lebensbereichen thematisiert und nicht nur im Job.
Das Prinzip sei dasselbe: „Über das eigene Scheitern zu sprechen kann helfen, emotional damit abzuschließen.“ Die wertschätzenden Reaktionen aus dem Publikum und dessen Anteilnahme würden ebenfalls dazu beitragen, sich danach besser zu fühlen.
Ein Gefühl, das auch Josef Burger kennt. Anfänglich sei es ihm schwergefallen, über den Tiefpunkt seines Lebens zu sprechen. Nach mehr als 500 Vorführungen – unter anderem zur Prävention an Schulen – zieht er daraus Kraft: „Nach jedem Auftritt erinnere ich mich genau daran, wo ich war. Außerdem weiß ich, dass ich damit anderen helfen kann“, sagt der gelernte Polizist.
"Ich habe ein zweites Leben geschenkt bekommen und lebe meinen Traum. Mich wirft nichts mehr so schnell aus der Bahn."
Er ist überzeugt, dass seine Leidenschaft, das Kabarett, ohne die existenzielle Lebenskrise niemals zu seinem Beruf geworden wäre; sein erstes abendfüllendes Programm schrieb er im Entzug. "Ich habe ein zweites Leben geschenkt bekommen und lebe heute meinen Traum. Mich wirft nichts mehr so schnell aus der Bahn", sagt Burger.
Dauerschmerzen
Eine Krise als Chance zu begreifen, war eine Lektion, die auch Melanie Pignitter lernen musste. Vor rund vier Jahren bekam sie von einem Tag auf den anderen Dauermigräne.
Mehrere hundert Tage und 112 Arztbesuche später war keine Besserung in Sicht. „Mein Leben war zerstört, ich konnte nicht mehr arbeiten, keinen Sport mehr betreiben und meine Beziehung bröckelte, weil ich Depressionen bekam“, erzählt die 34-Jährige.
Die Ursache sieht sie heute in einem „Zuviel an allem“. Sie sei permanent auf der „Jagd nach Erfolg“ gewesen. „Dabei vergaß ich zu leben und zu genießen.“ Als sie begann, sich intensiv mit Mentaltraining zu beschäftigen, verbesserte sich ihr Zustand zusehends.
"Ich lebe heute komplett anders – bin viel weniger diszipliniert, spontaner und doch erfolgreich denn je."
Auch, wenn sie nicht ganz schmerzfrei ist – sie hatte 2017 ihren ersten kopfschmerzfreien Tag –, geht sie heute gelassener durchs Leben: „Ich bin komplett anders – viel weniger diszipliniert, spontaner und doch erfolgreicher denn je.“
Auf ihrem Blog (honigperlen.at), die Grundlage für ihr gleichnamiges Buch, das im September erscheint, schreibt sie über ihr Leben mit chronischen Schmerzen und darüber, wie sie es schafft, in allem Schlechten immer auch das Gute zu sehen. Letzteres, so sagt sie, soll im kommenden Jahr ihre Kernbotschaft an die TV-Zuseher sein.
Noch bis Anfang September sucht Puls 4 Show-Teilnehmer; Bewerbung unter: puls4.com/fuckupnight
Die kommenden Termine für die "Fuckup Nights Vienna" gibt es unter: fuckupnights.at
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