Wie die Fußball- unsere Alltagssprache beeinflusst
Die Achtungserfolge der österreichischen Fußballvereine in den europäischen Ligen und die bevorstehenden Spiele des Nationalteams für die EURO 2020: Der Fußball ist wieder einmal in aller Munde, wie man so schön sagt.
Simon Meier-Vieracker, Linguist an der Technischen Universität in Dresden, verrät dem KURIER, warum das nicht außergewöhnlich ist, wie die Sprache der Fußballer unsere Alltagssprache beeinflusst und umgekehrt.
KURIER: Gibt es eine eigene Fußballsprache. Wenn ja, was zeichnet sie aus?
Simon Meier-Vieracker: Ja, die gibt es. Fußball wird ja nicht nur gespielt und geschaut. Über Fußball wird auch geschrieben und gesprochen. Und das so ausdauernd, dass sich eine eigene, unverkennbare Sprache gebildet hat.
Was charakterisiert diese?
In der Fußballsprache finden wir natürlich ein bisschen Fachterminologie, etwa den Elfmeter oder die Viererkette (vier Verteidiger in einer Abwehrreihe). Daneben gibt es jede Menge Metaphern.
Welche fallen Ihnen ein?
So viele, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll. Etwa die Schwalbe: Sie steht für das unehrenhafte Fallen-Lassen im Strafraum, um einen Elfmeter-Pfiff zu provozieren. Dazu gibt es viele Redewendungen und Formulierungen, die vielleicht gar nicht exklusiv aus dem Fußball stammen, aber hier häufig genützt werden und den typischen Sound von Livetickern, Livekommentaren und Spielberichten ausmachen.
Beispiele bitte?
Wenn sich eine Mannschaft zu Beginn eines Spiels von der anderen den Schneid abkaufen lässt. Wenn Verteidiger wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen durch den Strafraum rennen. Nicht umsonst gelten Fußballreporter als besonders fleißige Phrasendrescher.
Nicht in unserer Zeitung!
Das bezweifle ich, es wäre aber nicht weiter schlimm: Auch wenn sich viele mokieren, gehört genau diese Phrasendrescherei zur ganzen Folklore, die den populären Fußball umgibt. Sie ist darüber hinaus für alle, die diese Sondersprache beherrschen, ein Erkennungsmerkmal.
Hat sich die Fußballsprache im Laufe der Zeit verändert?
Interessanterweise verändert sie sich viel weniger als angenommen. Die sprachwissenschaftliche Forschung zeigt, dass sie ebenso stabil ist wie das seit Jahrzehnten gleiche Regelwerk. Das geht so weit, dass auch die Unkenrufe wegen der ständigen Phrasendrescherei über die Jahre immer die gleichen sind.
Kommen nicht ständig neue Ausdrücke hinzu? In meiner Kindheit gab es keinen Sechser. Und die Box hieß nur Strafraum.
Ja, vor allem taktische Neuheiten und Trends erfordern neue Bezeichnungen, die sich irgendwann auch durchsetzen. Noch vor zehn Jahren hätten nur ausgewiesene Taktikexperten gewusst, was Gegenpressing (sofortiges Attackieren des Ballführenden nach Ballverlust) bedeutet, heute reden alle davon.
Vor allem TV-Kommentatoren sind hier sehr kreativ.
Sie haben die gar nicht einfache Aufgabe, das immer wieder Gleiche auf dem Spielfeld immer wieder neu und ansprechend zu beschreiben. Da wird dann halt der ohnehin schon äußerst umfangreiche Bestand an Verben für schießen wie dreschen, zimmern oder spitzeln ständig erweitert. Heute kann der Ball auch ins Tor gezuckert, gezwitschert oder geschallert werden. Mehr als 180 verschiedene Verben alleine für schießen konnten bereits in Fußball-Livetickern ausfindig gemacht werden, und es kommen ständig neue dazu.
Geht das nicht auch in die umgekehrte Richtung?
Ja, eine ganze Reihe von Formulierungen aus dem Fußball ist in Form von Metaphern in die Alltagssprache übergegangen.
Welche fallen Ihnen ein?
Wenn ein Politiker den Kontrahenten auffordert, den Ball flach zu halten. Oder wenn ein Lehrer dem Schüler für sein Betragen die rote Karte zeigt und der deshalb in seiner Klasse ins Abseits gerät. Aber auch die legendäre Sentenz der deutschen Trainerlegende Sepp Herberger Nach dem Spiel ist vor dem Spiel ist längst in das kollektive Gedächtnis eingegangen – und steht als individuell anzupassende Schablone für alle möglichen Kontexte bereit. Aktuell etwa: Nach der Wahl ist vor der Wahl.
Was bedeutet diese Wechselwirkung für die Akteure des Profibetriebs?
Die enorme Popularität des Fußballs hat auch zur Folge, dass seine Akteure unter besonderer öffentlicher Beobachtung stehen, auch in ihrem Sprachgebrauch. Galt Fußball lange Zeit als Proletensport mit rauen Ausdrucks- und Umgangsformen, werden heute, da der Fußball für sich selbst eine Vorbildrolle etwa in Sachen Integration in Anspruch nehmen möchte, andere Maßstäbe angesetzt.
Hat die Sprache des Fußballs somit auch eine politische Dimension?
Die jüngste Aufregung in Deutschland rund um die rassistischen Äußerungen eines hochrangigen Fußballfunktionärs zeigt, wie gerade im Fußball Debatten über diskriminierende Sprache angestoßen werden, die weit über das Spiel hinauswirken können. Rassistische oder sexistische Äußerungen, wie sie früher noch verbreitet waren, werden heute zum Glück sanktioniert, nicht zuletzt dank Einspruch der Fans.
Ihre Lieblingsmetapher?
Das wechselt. Sehr schön finde ich das pseudobürokratische Sich in die Torschützenliste eintragen. Auch wenn das streng betrachtet keine Metapher, sondern eine Metonymie (sprachlicher Ausdruck im übertragenen Sinn) ist.
Spielen Sie selbst Fußball?
Um Himmels willen, nein!
Gibt es eine Mannschaft, der Sie die Daumen drücken?
Ich sag mal so: Das Champions League Finale 2013 war einer der schönsten Momente in meinem Leben als Fußballfan (Damals gewann der FC Bayern in einem deutsch-deutschen Finale im Londoner Wembley-Stadion mit 2:1 gegen Borussia Dortmund; Anmerkung).
Metaphern: Vom Nageln, vom Zirkeln und Zaubern
Wenn ein Spieler den Ball ins Tor nagelt, benötigt er dafür keinen Nagel und keinen Hammer, sondern eine gute Schusstechnik. Zirkelt er den Ball über die Mauer, ist er kein technischer Zeichner (als Mauer dienen übrigens gegnerische Verteidiger). Zaubert er dabei den Ball ins Tor, ist er kein Magier im herkömmlichen Sinn, aber immerhin ein Ballzauberer.
Wenn es dagegen dem Tormann gelingt, sein Tor sauber zu halten, braucht er dafür keinen Staubsauger, sondern gute Reflexe. Der Staubsauger vor der Abwehr ist auch nicht wörtlich zu nehmen, sondern ein defensiver Mittelfeldspieler. Die hängende Spitze hängt derweil an keinem Seil, sie ist viel mehr ein Angriffsspieler, der aus dem Mittelfeld heraus agiert.
Wenn ein Team mit angezogener Handbremse spielt, sitzen seine Spieler in keinem Fahrzeug, sondern sind auf dem Spielfeld weniger agil.
Und wenn dann ein erfolgreiches Exportunternehmen in der Champions League spielt, ist dies eine Metapher, die vom Fußball in unsere Sprache übergegangen ist.
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