Leistungsdruck macht Stars und Burnout-Kids

Eltern, die ihre Kinder zum Laufen zwingen, sorgten für Entrüstung. Was Experten zu diesem Leistungsdruck sagen

Empörung rund um das Foto vom Linzer Junior-Marathon: Es zeigt, wie Eltern ihre weinenden kleinen Kinder ins Ziel zerren. Im KURIER-Gespräch zeigt sich Familylab-Beraterin Sandra Teml-Jetter darüber entsetzt: „Das ist das Gegenteil von dem, was bei so einem Laufbewerb geschehen sollte. Er sollte den Kindern Freude an der Bewegung geben.“ Die Familienberaterin zu falschem und richtigen Leistungsdenken: „Ein Erfolgserlebnis stärkt das Selbstwertgefühl eines Kindes und seine Motivation. Experten nennen das Selbstwirksamkeit. Ein Kind braucht die positive Erfahrung, dass es etwas erreicht hat. Hier passiert das Gegenteil: Das Kind schafft es nicht selbst, sondern weil die Eltern es wollen.“

Natürlich geht es in diesem Alter nicht ohne Eltern, betont sie: „Für das Kind sind sie als Motivation und als Sicherheit wichtig – Motto: Ich habe es selbst geschafft, aber nicht allein.“ Die Kinder wollen natürlich, dass ihre Eltern da sind, aber „für ein Kind, das diese kurze Strecke nicht alleine laufen möchte, ist der Bewerb ohnehin nicht geeignet“.

Traumkinder

Gerade deshalb sei es so wichtig, die Fähigkeiten und Talente eines Kindes richtig einzuschätzen, so Teml-Jetter: „Viele Eltern sehen nicht die Realität ihres Kindes, sondern ein Wunschbild“, weiß sie aus der Praxis. Generationen sogenannter „Eislaufmütter“ haben so ihre Kinder zu Höchstleistungen angetrieben. „Kinder wollen immer kooperieren und die Zuneigung der Eltern. Dafür sind sie bereit, an ihre Grenzen zu gehen – und weiter.“

Bei Wunderkindern funktioniert das: Sie spüren den inneren Antrieb bereits früh. Nur in Kombination mit Eltern, die sie fördern, erreichen sie Spitzenleistungen. Kein Wunder, dass die Eltern oft auch Trainer oder Lehrer sind. Steffi Graf, Marcel Hirscher und Janica Kostelic begannen im Kleinkindalter mit dem harten Training. Stargeiger David Garrett erzählt über seinen Vater, dass er ihn sehr gepusht hat. Mozart könnte davon wohl auch ein Lied singen.

Doch zu viel Druck erzeugt Gegendruck, fürchtet Teml-Jetter: „Wenn das Talent dafür nicht angelegt ist, leiden die Kinder irgendwann unter den zu hohen Erwartungen.“

Burnout-Kids

Nach solchen Kindern benannte der deutsche Kinderpsychiater Michael Schulte-Markwort sein Bestseller-Buch „Burnout-Kids“ und warnte Eltern davor, zu viel von ihrem Nachwuchs zu erwarten. KURIER-Family-Coach Martina Leibovici-Mühlberger beklagt in ihrem neuen Buch über „Tyrannenkinder“, dass Eltern ihren Kindern die Erziehung verweigern und sie unnötig in Watte packen. Ein Widerspruch?

Nein, sagt Familienberaterin Teml-Jetter: „Dabei geht es darum, dass Eltern mehr Angst denn je haben. Sie machen sich Sorgen, ob ihre Kinder es einmal schaffen werden. Deswegen messen sie ihre Kleinkinder auf dem Spielplatz ständig mit anderen. In der vierten Klasse zittern sie, ob sie ins Gymnasium kommen.“ Die Eltern selbst tun sich mit Misserfolg immer schwerer, beobachtet die Beraterin. „Sie wollen ihre Kinder vor jeder Frustration bewahren. Deshalb scheint es, als würden Eltern in die Schule gehen – und deswegen ziehen sie auch ihre Dreijährigen zum Zieleinlauf.“ Für solche Eltern hat sie ein Baby-T-Shirt in ihrer Praxis aufgehängt. Darauf steht: „Geh’ nicht mit deinen Visionen auf mein Leben los.“

Kommentare