Übergriffe auf Pflegekräfte: "Krankenpflege ist nicht erotisch"

Übergriffe auf Pflegekräfte: "Krankenpflege ist nicht erotisch"
Auf Twitter spricht eine Frau über ein Thema, das in der Debatte über sexuelle Übergriffe oft übersehen wird: Belästigung in der Krankenpflege.

"Sexualisierung des Berufsbilds Krankenpflege. Kein Problem denkt ihr?": Mit diesen Worten leitete eine Twitter-Userin am Montag einen Thread ein, dem seither viel Aufmerksamkeit auf dem Kurznachrichtendienst zuteil wird.

In ihrer Abhandlung spricht die Krankenpflegerin davon, dass sie bereits in ihrer Ausbildung mit sexueller Belästigung durch Patienten konfrontiert worden sei. "Aussagen wie 'Sie können mich ja auch mal daheim pflegen' sind da noch harmlos", schreibt die Nutzerin.

Subtil bis offensiv

Übergriffe auf Pflegekräfte seien oft subtiler Natur – "zum Beispiel in der Form, dass ein männlicher Patient es nicht für nötig hält, eine Unterhose unter sein Flügelhemd zu ziehen und dies permanent offen zu lassen, sodass man jedes Mal beim Betreten seines Zimmers 'alles' sehen kann." Oft sei die Belästigung auch deutlich offensiver. Kommentare, die den Beruf herabsetzen und sexualisieren, bis hin zu körperlichen Übergriffen seien etwa keine Seltenheit.

Viel schlimmer als derartige Erlebnisse im Berufsalltag seien die gesellschaftliche Erwartung und der Anspruch, dass Pflegekräfte dieses Verhalten "tolerieren" müssten. "'Hab dich nicht so' ist nur eine von wenigen Aussagen, die ich als Reaktion auf das Aussprechen/Ansprechen solcher Taten bekam."

Patienten, der derartige Übergriffe verüben, würden hingegen nur selten zur Rechenschaft gezogen. Vielmehr müssten sich die betroffenen Pflegekräfte Strategien zurechtlegen, um mit ihrer Arbeitsrealität umzugehen.

"Krankenpflege ist nicht erotisch"

Mit ihren Ausführungen will die Userin das Tabu rund um Übergriffe im Pflegeberuf brechen und gegen die Sexualisierung des Berufes ankämpfen: "Ich will keine verzerrte Darstellung von Krankenpflegerinnen in Lackkostümen/Kleidchen, wenn ich 'Krankenschwester' bei Google eingebe. Und ich will, dass es aufhört selbstverständlich zu sein, anzügliche Bemerkungen in unserem Arbeitsumfeld zu äußern. Krankenpflege ist nicht erotisch. Sie rettet Leben, sie ist eine Profession, sie ist die pure Verantwortung und ein Haufen voll Fachwissen. Sie ist nicht sexy und das soll sie auch nicht sein."

Aggression und Gewalt in der Pflege

Erst seit einigen Jahren befassen sich Studien mit den Arbeitsbedingungen und Belastungen, denen das Pflegepersonal ausgesetzt ist. Die Schilderungen, die derzeit auf Twitter diskutiert werden, werden durch entsprechende Erhebungen jedenfalls belegt.

Alarmierende Zahlen liefert etwa eine Untersuchung aus dem Jahr 2010 über Aggressionserlebnisse von Berufsgruppen in stationärer und ambulanter Pflege. Demnach berichteten 63 Prozent der Befragten von Gewalterfahrungen im vergangenen Jahr. 78 Prozent gaben an, verbalen Attacken ausgeliefert gewesen zu sein. Am häufigsten sind der Studie zufolge Pflegekräfte (78 Prozent) betroffen, gefolgt von Ärztinnen und Ärzten (19 Prozent) und Therapeutinnen und Therapeuten (drei Prozent). Eine Erhebung unter Krankenpflegeschülerinnen und -schülern im ersten Ausbildungsjahr ergab zudem, dass in dieser Gruppe sogar mehr als 90 Prozent von verbalen Übergriffen betroffen waren – mehr als die Hälfte von leichter körperlicher Gewalt.

Die Verfasser der Studie, die Pflegewissenschaftler Harald Stefan und Günter Dorfmeister, verweisen außerdem auf eine deutsche Studie, wonach mehr als 70 Prozent der Pflegenden Gewalt- und Aggressionshandlungen ihrer Patienten nicht dokumentieren.

"Aggressionen gegen Pflegepersonal – seien es verbale Drohungen oder gar tätliche Übergriffe – waren lange Zeit ein Tabuthema", heißt es dazu in einer im Jahr 2017 von der Arbeiterkammer Steiermark herausgegebenen Broschüre. Untersuchungen würden zwar belegen, dass Aggressionen und Gewalt zum Berufsalltag vieler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Pflege- und Betreuungseinrichtungen gehören, Betroffene würden dies jedoch nach wie vor oft stillschweigend zur Kenntnis nehmen.

Aggression und Gewalt finden sich der Arbeiterkammer zufolge in allen Bereichen der Pflege: in der Geriatrie, auf psychiatrischen Stationen, in der Aufnahme, in der Notfallambulanz, aber auch auf allen anderen Stationen im Krankenhaus, im Behindertenbereich, im Pflegeheim und auch in der mobilen Pflege. Laut einer von der Arbeiterkammer durchgeführten Erhebung in einer Krankenanstalt würden allerdings mit Abstand die meisten Vorfälle auf den psychiatrischen Stationen geschehen. 77 Prozent der dort dokumentierten Vorfälle passierten direkt in den Patientenzimmern.

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