Rinderzüchterin im zweiten Anlauf: "Bauern sind echte Arbeitstiere"

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Helga Bernold, Demeter-Bäuerin im Weinviertel mit großer Zuchtrinder-Herde, über den Wert von Fleisch, warum sie keine Kälber schlachtet und wie sie ihr Leben als junge Witwe und fünffache Mutter gemeistert hat.

Helga Bernold bewirtschaftet einen Demeter-Hof und hat weit über 100 Rinder spezieller Rassen.

KURIER: Sie sind auf einem Bauernhof groß geworden, haben sich geschworen, nicht Bäuerin zu werden. Was hat Sie denn zurück in die Landwirtschaft gezogen?

Helga Bernold: Das Leben! Bäuerin zu werden, war tatsächlich das „Letzte“ für mich, vor allem wegen der geringen Wertschätzung des Berufsstandes. Ich war Fotografin, Reprotechnikerin und habe dann mit Freunden ein IT-Unternehmen gegründet, wir hatten enorm viel Spaß, aber letztlich empfand ich es als sinnbefreit. Mein damaliger Mann hatte eine Nebenerwerbslandwirtschaft und wollte sie verpachten. Da sagte ich zu ihm: „Voll cool, ich arbeite so gerne draußen – und mit Kindern lässt sich das auch einfacher verbinden.“

Sie haben eine große Rinderherde.

Ja. Das Weinviertel ist eigentlich eine reine Ackerbaugegend. Aber ich wollte biodynamisch arbeiten, daher benötigte ich Wiederkäuer, um die Fruchtfolge ordentlich zu gestalten. Ich habe mit Pinzgauer Rindern begonnen, weil sie so schön sind. Das war aber einerseits vermarktungstechnisch schwieriger, und andererseits wollte ich, dass meine Rinder länger leben dürfen. Das Schlachtalter im konventionellen Bereich ist circa 18 Monate, bei mir dürfen sie zumindest erwachsen werden. Die Wagyu-Rinder wachsen am langsamsten, ihr Fleisch hat eine sehr schöne Marmorierung, das Fett ist hochwertig, schmalzig und schmeckt sehr köstlich.

Warum schlachten Sie nie Kälber?

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Wenn so ein Kalb auf die Welt kommt, und vier Monate später schon geschlachtet wird, halte das nicht einmal ich aus, und ich bin extrem pragmatisch. Ich sage immer, ich feiere das Leben und trauere nicht lange um den Tod. Wenn mich die Leute fragen „Die Viecher sind so schön und du hast eine so gute Beziehung zu ihnen, wie kannst du sie schlachten“, dann sage ich, der Tod gehört zum Leben, und wenn wir sie nicht schlachten würden, würden sie gar nicht auf die Welt kommen.

Sie werden am Hof geschlachtet.

Für mich ist das die letzte Konsequenz: Wenn ich Tiere bei mir am Hof halte, will ich sie auch selbst schlachten. Das Tier wird separiert, gesegnet und geschossen, fertig. Wir haben auch unsere eigene Fleischwerkstatt.

Was ist, wenn Ihnen ein Rind besonders sympathisch ist?

Es gibt immer wieder Rinder, die mir ans Herz wachsen, weil sie so kuschelig sind – so blöd das klingt, weil mein Axel mittlerweile ein Riese ist. Aber der war von klein auf so nett, daher darf er älter werden als die anderen. Irgendwann werde ich mich auch von ihm trennen müssen, aber derweil hat er eine „Wildcard“.

Wie individuell sind Rinder?

Sehr. Ich kann die Mutterlinien herauskennen. Sie bestimmen den Charakter mehr als die Väter.

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Alle Ihre Rinder haben Hörner. Wie hoch ist die Verletzungsgefahr für die Tiere, aber auch für Sie?

Nicht vorhanden. Hörner gehören zum Wesen der Rinder. Wenn die Tiere erwachsen werden, bildet der Hornzapfen Hohlstellen. Die sind relevant für die Verdauung. Behornte Rinder brauchen mehr Platz, und wir haben einen sehr großzügigen Stall mit Auslauf, Liege- und Fressbereich. Im Frühling gehen sie auf die Weide, im November wieder rein – ein natürlicher Zyklus.

Ihre Rinder stehen auf Spaltenböden, die gerade in der Kritik stehen.

Das ist per se nicht schlecht. In Kritik ist die Haltung auf Vollspaltenböden, und das ist absolut gerechtfertigt. Wir haben uns im Fressbereich dafür entschieden, da dort viel gekotet wird, durch die Spalten stehen sie immer sauber und trocken, und die Gülle wird entsprechend aufbereitet und wieder als Dünger auf den Feldern verwendet.

Wie reagierten die Landwirte in Ihrem Umfeld, als Sie mit Ihren biodynamischen Methoden anfingen?

Es ist wohl eher belächelt worden. Ich war sehr jung, und so viele weibliche Bauern gabs nicht. Ich habe damals zum Beispiel mit einem Altbauern etwas besprochen, und er fragte: „Wo ist denn der Mann?“

Wie viel teurer ist Ihr Fleisch?

Circa doppelt so teuer.

Können Sie davon leben?

Ja, wobei ich bei Weitem weniger verdiene als früher. Bauern sind in der Regel leidensfähig und echte Arbeitstiere. Sie arbeiten gern.

Schätzt die Gesellschaft die Landwirtschaft zu wenig?

Alle wollen biologische Lebensmittel, doch dann ist der Preis wichtiger, besonders beim Fleisch. Würden viele Menschen mal eine Zeit lang als Bauer arbeiten, würden Lebensmittel wahrscheinlich nicht mehr so billig produziert werden.

Sie haben fünf Kinder, Ihr Mann ist früh an Krebs gestorben. Wie haben Sie das alles geschafft?

Die Kinder waren zwischen zwei und zehn Jahre alt. Sie waren sensationell. Ich bin jemand, der Dinge erledigt und pragmatisch ist. Man funktioniert einfach. Die Welt dreht sich ja normal weiter. Wir haben ein sehr großes familiäres Netzwerk und viele Freunde, die mich unterstützten. Ein lieber Freund stand mit Gepäck da und sagte: „Schaff mir was an, sonst gehst du auch noch unter.“ Das war viel wert.

Zum ausführlichen Gespräch mit Bio-Rinderbäuerin Helga Bernold

Ihr jetziger Lebens- und Arbeitspartner ist Fleischhauer. Wie haben Sie ihn kennengelernt?

Ich bin beim Meinl am Graben reinspaziert und habe gefragt, ob sie Interesse an österreichischem Demeter-Wagyu-Rind haben. Da ist der Wolfgang da gestanden. Er kommt aus einer Fleischerfamilie und ist mit Herz und Seele Fleischer. Er wollte sich das Tier selbst anschauen und bei der Schlachtung dabei sein. So haben wir uns kennen- und lieben gelernt.

Die vielen Bauern-Förderungen werden oft kritisiert.

Die Subventionen sind mehr als gerechtfertigt, weil wir auf einem Weltmarkt einer Konkurrenz gegenüberstehen, die viel größer ist und ganz andere Rahmenbedingungen hat, etwa, was Umweltauflagen betrifft. Außerdem erbringen wir gesellschaftliche Leistungen, die so nicht abgegolten werden.

Was unterscheidet Demeter von Bio?

Es ist breiter. Wir reden von einem Hoforganismus, ja von einer Individualität, und schauen darauf, dass alle Betriebsteile zusammenwirken und in Balance sind. Uns geht es um die soziale Dreigliederung, das ist ein anthroposophischer Ansatz: Freiheit im Geistesleben, Gleichheit im Rechtsleben und Brüderlichkeit im Wirtschaftsleben. Das hat sich in unserer Gesellschaft leider verschoben. Wir haben nun die Freiheit in der Wirtschaft, die Gleichheit im Geistesleben und die Brüderlichkeit im Rechtsleben.

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Sie sind so schlank. Macht Fleisch denn nicht dick?

Sicher nicht! Nicht einmal Fett macht dick. Ich mag fettes Fleisch, bin eine leidenschaftliche Esserin, aber immer in Bewegung. Auch hier geht es um die Zubereitung, Kombination und die Balance.

Kann man als Bauer urlauben?

Es gibt Freunde, die dann den Hof schupfen. Wobei wir nicht so die Urlaubstiger und gern daheim sind.

Was wünschen Sie sich von der Politik und vom Konsumenten?

Mehr Nachdenken darüber, woher die Lebensmittel kommen und wie sie produziert werden. Eine gute Ernährung ist die Basis für Gesundheit. Von der Politik würde ich manchmal gerne einfach nur in Ruhe gelassen werden, weil wir in einer so überregulierten Welt leben. Alles muss geregelt und kontrolliert sein. Mir fehlt der Mut zur Lücke.

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