
Von Viehwirtschaft zum Tourismus: Wie eine Nomadin in der Mongolei den Wandel meistert
Die Nomadin Ariunbileg Tseveenjamts lebt mit Mann und Kindern in einer Jurte in der mongolischen Provinz Öwörchangai. Die 46-Jährige züchtet wie schon ihre Vorfahren Yaks.
KURIER: Sie sind Yakzüchterin. Wie viele Tiere besitzen Sie?
Ariunbileg Tseveenjamts: Eine exakte Zahl kann man nie sagen, denn alte oder kranke Tiere sterben, neue werden geboren … aber es dürften über fünfzig Yaks, mehr als neunzig Pferde, zirka hundertfünfzig Ziegen und über dreihundert Schafe sein.
Die Yaks schauen wegen ihres kuscheligen Fells und dem buschigen Schwanz recht harmlos aus. Sind sie das auch?
Es handelt sich um sehr freundliche und duldsame Tiere, aber will man ihnen den eigenen Willen aufzwingen, kann es schwierig bis gefährlich werden. Versucht man sie im felsigen Gelände einen Weg entlang zu treiben, den sie selber nicht wählen würden, kann es sein, dass sie attackieren. Sie sind durchaus eigensinnig und ziemlich wild. Die Yaks erkennen die Menschen, die viel mit ihnen arbeiten, am Geruch, Fremden gegenüber sind sie scheu. Für meine Gäste habe ich eine Kuh trainiert, damit die Touristen sie melken können … oder es zumindest versuchen. (lacht)
Yaks sind extrem widerstandsfähig und können Temperaturen bis zu minus vierzig Grad aushalten. Haben sie in freier Wildbahn Feinde?
Ja, aber Wölfe fressen meist nur Jungtiere. Doch um ein Kalb zu reißen, braucht es kein Rudel, das schafft ein einzelner Wolf. Schwer ist es wegen dem „Dzud“ (siehe Info). Denn auch wenn ich ihnen Heu vorsetze, fressen sie es nicht oder nur wenig davon. Während des Winters sind die Yaks hoch oben in den Bergen. Wenn wir sie runterholen, um sie zu retten, sterben sie trotzdem. Beim letzten Dzud haben wir rund fünfzig Tiere verloren.

Etwa fünfzig Yaks besitzt die Züchterin. Der Klimawandel setzt den Tieren immer mehr zu, vor allem durch extreme Winterkälte.
©Getty Images/DavorLovincic/iStockphotoSpüren Sie den Klimawandel?
Die Zusammensetzung der Gräser auf den Weiden und Wiesen hat sich verändert. Viele Kräuter, die es vorher überall gab, sind ausgestorben. Das Vieh legt nicht mehr so gut Gewicht zu wie früher, wodurch sich die allgemeine Qualität der Tiere verschlechtert. Für die Zukunft planen wir nur mehr Yaks und Pferde zu halten, denn sie sind groß und überleben bei Extremwetter leichter. Schafe und Ziegen werden wir verkaufen … es gibt einfach zu viele Tiere. Im Winter, vor allem während eines Dzud, ist es schwierig, für so viele Tiere zu sorgen.
Wie sind Sie aufgewachsen?
In meiner Kindheit lebte ich gemeinsam mit meinen fünf jüngeren Geschwistern im Internat der Schule des Bezirks Bat-Ölzii und ging dort acht Jahre lang zur Schule. Während der Ferien bin ich mit dem Pferd nach Hause geritten. Nach der Arbeit im Haushalt und bei den Tieren spielten wir abends zusammen „Schagai“ – ein Geschicklichkeitsspiel, das mit Schafknöcheln gespielt wird. Natürlich sind wir auch oft um die Wette geritten. Ich erinnere mich, dass ich einmal vor Lachen vom Pferd gefallen bin.

Die Nomaden leben in Jurten, es gibt auch eine für Gäste.
©Carola LeitnerWas hat sich durch die Modernisierung für Sie als Nomadin verändert?
Früher zogen wir mit der Familie das ganze Jahr über mit unserem Yak-bespannten Viehwagen umher. Am schwierigsten war der Umzug zum Winterlager. Mit sieben bis acht Wagen transportierten wir unser Zuhause, während ich mit meinen Geschwistern Pferde, Yaks, Schafe und Ziegen etwa dreißig Kilometer weit zu Fuß trieb. Wenn meine Geschwister unterwegs müde wurden und weinten, trug ich sie auf meinem Rücken weiter. Manchmal weinte ich selbst vor Erschöpfung. Trotzdem erreichten wir stets mit all unseren Tieren das Winterlager. Heute erfolgt der Lagerwechsel viel einfacher mit Pkws, Motorrädern oder Lastwagen – allerdings sind Benzin und Öl ziemlich teuer geworden.

Heute erfolgt der Lagerwechsel auch mit Hilfe von Pkws, Motorrädern, usw. Doch Benzin ist teuer.
©Carola LeitnerBetreffen die Veränderungen auch das familiäre Zusammenleben?
Meine Kindheit war geprägt vom Übergang zweier Gesellschaftssysteme. In den Dorfläden herrschte Warenknappheit und Mehl wurde nur mit Lebensmittelkarten ausgegeben. Als älteste Tochter war ich dafür verantwortlich, meine Geschwister zu ernähren, sie anzuziehen, das Haus zu putzen und mit ihnen die Hausaufgaben zu machen. Als ich diese Aufgaben übernahm, war ich etwa fünf oder sechs Jahre alt. (überlegt) Ich bereitete aus dem zugeteilten Mehl „Boortsog“ zu, das sind in Fett gebackene Teigstücke, die ich unter meinen Geschwistern aufteilte. Sie weinten oft, weil sie mehr haben wollten.
Die Tradition, dass ältere Geschwister sich um die jüngeren kümmern, ist bis heute geblieben, aber Lebensmittelversorgung, Informationszugang und Lernumfeld haben sich stark verbessert.
Wovon leben Sie?
Unsere wichtigste Lebensgrundlage ist die Viehwirtschaft. Wir haben seit 2008 auch eine Gästejurte, in der wir im Jahr hundertfünfzig bis zweihundert ausländische Touristen empfangen. Als Nomaden bekommen wir vom Staat kaum Unterstützung.
Verkaufen Sie Ihre Produkte auch?
Die internationalen Touristen und Gäste aus der Stadt lieben meine Yak-Produkte, wie das getrocknete Yoghurt oder clotted cream. Bleibt etwas übrig, verkaufe ich den Rest. Ein Tier zu haben ist wie Gold wachsen zu lassen. Darum bezeichnen wir Nomaden Kamel, Yak, Pferd, Schaf und Ziege als unsere „fünf Juwele“.

Es wird auch in der Jurte frisch gekocht.
©Carola LeitnerInfo
Was ist ein „Dzud“?
Ein Dzud ist extreme Winterkälte mit Temperaturen bis zu minus 55 Grad. Forscher befürchten, dass diese Extremwetter aufgrund des Klimawandels zukünftig alle zwei Jahre auftreten. Der bisher schlimmste Dzud traf die Mongolei 1944, es starben 7,5 Mio. Herdentiere.
30:70 Verhältnis: In den 50er-Jahren lebten 30 % der Mongolen in Städten, 70 % als Nomaden. Mittlerweile ist es umgekehrt.
Ariunbileg Tseveenjamts
Kontakt: facebook.com/ariunbileg.tseveenjamts oder telefonisch: +976 99 919523 (auf Mongolisch oder Englisch)
Können Sie sich vorstellen in der Stadt, z. B. in Ulaanbaatar, zu wohnen?
Nein, das Stadtleben passt nicht zu mir. In meinem Herzen sind die unendlichen weiten Steppen, die mongolische Lebensweise, der Geschmack der Milchprodukte, das klare Wasser und die frische Luft tief verwurzelt.
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