Vesterålen: Es müssen nicht immer die Lofoten sein

Vesterålen: Es müssen nicht immer die Lofoten sein
Die Lofoten im hohen Norden kennt fast jeder – die ursprünglichere Nachbarregion Vesterålen hingegen kaum jemand. Zu Unrecht. Die Landschaft ist ähnlich imposant.

Zusammenfassung

  • Vesterålen bietet eine Alternative zu den bekannteren Lofoten.
  • Nyksund, ein Fischerdorf, wird durch eine deutsch-norwegische Gemeinschaft wiederbelebt.
  • Im Winter kann man Adler oder Polarlichter beobachten und Schneeschuhwandern.

Der Wahl-Norweger Ian Robbins greift ein Stück gefrorenen Fisch und wirft es in hohem Bogen ins kalte Wasser des Nordmeers. Jetzt heißt es kurz warten und Daumen drücken. Doch es passiert: nichts. Erst mal zumindest. Beim nächsten Fischbrocken, der vom Boot ins Wasser fliegt, sieht das schon anders aus. Dann kommt plötzlich einer angeflogen – ein Seeadler! Kurz visiert er den Happen an und greift ihn von der Wasseroberfläche, bevor er wieder abdreht. Man muss schnell sein und im richtigen Moment den Auslöser drücken für ein Erinnerungsfoto aus nächster Nähe.

Seeadler im Flug auf den Vesteralen in Norwegen

Wer die Adler aufs Bild bekommen möchte, muss schnell sein

Während Robbins viel zur größten Adlerart Europas berichtet, zeigt er auf die Küste der Insel gegenüber. „Da drüben liegt der Trollfjord“, sagt er. Und der ist nicht nur sehr imposant mit Bergen, die um die tausend Meter aufragen, sondern sorgte immer wieder auch für Streitereien. Schon vor über hundertzwanzig Jahren kamen sich dort traditionelle Fischer in ihren Ruderbooten und moderne Dampfboote bei einer berühmten Auseinandersetzung in die Quere. Selbst heute gibt es eine Rivalität um diesen Seitenarm des Raftsunds, der zwischen den Vesterålen und der Nachbarregion, den Lofoten, fließt. Die zentrale Frage: Zu welcher Region gehört der touristenmagnetische Fjord überhaupt? Jede Seite beansprucht ihn für sich. Geografisch würde man ihn eigentlich zu den Lofoten zählen. Offiziell aber gehört er zum Verwaltungsgebiet Vesterålens, die immer etwas im Schatten der weltberühmten Lofoten stehen. Dabei erscheinen die Vesterålen – verglichen mit den Lofoten – deutlich untouristischer und ursprünglicher, sind aber ebenfalls sehr imposant.

Die Regionen sind nur einen Katzensprung voneinander entfernt. Knapp dreißig Minuten dauert es, schon legt die Fähre im Örtchen Melbu an, wo Robin Bolsøy sein kürzlich renoviertes „Melbu Hotell“ in Laufweite zum geschäftigen Hafen betreibt. Darüber hinaus bietet der Norweger Aktivitäten auf der bergigen Insel Hadseløya an. Auf seiner Schneeschuhtour stapft Robin mit der kleinen Gruppe gezielt einen der Berge hinauf. „Man erkennt hier, dass die Eiszeit einst in dieser Gegend stoppte“, erklärt er unterwegs. „Die Berge, die entstanden, gehören zu den ältesten der Welt.“ Bei der Tour reicht das Panorama bis zu den Lofoten. Dazwischen: winterliche Buchten, Felsen und Strände, in der Ferne eine Lachsfarm.

Geschichte der Schiffe

Jeden Tag schippern auch die berühmten Hurtigruten durch diese Gewässer. Der Küstenexpress ist heutzutage vor allem für Kreuzfahrten im Einsatz ist. 1890 begannen die Schiffe, die entlegensten Orte entlang der norwegischen Küste anzusteuern, ab 1922 auch Vesterålen. Sie transportierten Waren, vor allem Fisch, nahmen Passagiere mit und lieferten die Post, weil es keine Straßen und keine Bahn gab.

Mehr über die Geschichte erfährt man im außergewöhnlichen „Hurtigruten Museum“ in Stokmarknes, wo einst von einer kleinen Reederei die ersten Hurtigruten-Schiffe gebaut wurden. Rund vierzig Jahre hat es gedauert, bis das Museum in der jetzigen Form realisiert werden konnte. Schließlich wurde mit der MS Finnmarken von 1956 ein ganzes Schiff in die eigens gebaute Halle mit der hohen Glasfassade gehoben.

Frau sitzt vor Schiffsschraube der MS Finnmarken im Hurtigruten Museum

Ein Besuch im Hurtigruten-Museum: Hier kann man mit der MS Finnmarken ein ganzes Schiff bestaunen.

Ein Roadtrip durch Vesterålen führt durch die verschneite und dünn besiedelte Landschaft. Anders als auf den Lofoten sind die Berge etwas weniger dramatisch und scheinen weicher, sanfter, runder – wie eine Skyline, bei der jedes Haus eine andere Form hat. Dazwischen durchfährt man Nadelbaumwälder. Auch Birken schauen staksig blattlos aus dem Schnee. Man könnte Richtung Andenes fahren, das für seine Walsafaris berühmt ist.

Ein neues altes Dorf

Stattdessen geht es zum Städtchen Myre, dem Fischerei-Zentrum in der Gegend, für eine Rundfahrt aufs Wasser. Michel Jürgensen, Jahrgang 1962, hat dazu eingeladen. Der Deutsche, der seit Jahrzehnten in Nordnorwegen lebt, kümmert sich dort an Bord um alles, was der Kapitän nicht macht. Zwischendurch, während das Fährboot in knackiger Kälte die Inseln abklappert, wenige Leute an- oder von Bord gehen und man auf diesen Mini-Hurtigruten immer wieder in die atemberaubende Fjordwinterlandschaft schaut, hat er immer wieder kurz Zeit.

Dann beginnt er, auf seine joviale Art zu erzählen: von Nyksund, einem winzigen, abgelegenen Fischerdorf, das für ihn vor über dreißig Jahren der Grund zum Auswandern war. Zwei Mal wurde das Dorf verlassen, zwei Mal wiederbelebt. „Im Zuge der Zentralisierung siedelte die Regierung in den 1970ern Fischerfamilien aus entlegenen Dörfern um, sodass die leer standen“, erklärt Michel. In den 1980er-Jahren hörte dann der Sozialpädagoge Burkhard Herrmann von der Berliner Technischen Universität auf einer Party vom verlassenen Nyksund und hatte eine Idee: Für ein ungewöhnliches, soziales Projekt brachte er internationale Jugendliche dorthin, die gemeinsam lebten, werkelten und Häuser instand setzen. Nach rund fünf Jahren allerdings wurde es beendet und das Dorf wieder sich selbst überlassen.

Atle Valland kehrte im Alter nach Nyksund zurück und betreibt einen Kramladen

Atle Valland kehrte im Alter nach Nyksund zurück und betreibt einen Kramladen

Mit dem alten Projekt hat die neue Gemeinschaft Nyksunds nichts mehr zu tun. Das gemütliche Dorf heute lebt vom Engagement seiner kleinen, deutsch-norwegischen Gemeinschaft, die vor mehr als zwanzig Jahren begann und zu dem heute das hervorragende Restaurant „Ekspedisjonen“ genauso wie ein charmanter Krimskramsladen gehören.

Ringo Haupt kocht im Restaurant „Ekspedisjonen“, eines der besten der Vesterålen

Ringo Haupt kocht im Restaurant „Ekspedisjonen“, eines der besten der Vesterålen

„Wann hat man schon die Chance, einen Ort wiederzubeleben“, sagt Ssemjon Gerlitz. Der Düsseldorfer kam in den späten 1990ern nach Nyksund. Damals waren viele Häuser verfallen. „Dieses Haus hier besteht im Grunde aus sieben Häusern und deren Holz“, sagt er über sein uriges, windschiefes Gästehaus „Holmvik Brygge“, in dem er seit 1999 Zimmer vermietet – mit Selbstmacher-Charme und voller Relikte aus der Dorf-Vergangenheit.

Ssemjon Gerlitz kam in den  90ern  nach Nyksund und betreibt dort ein Gästehaus

Ssemjon Gerlitz kam in den  90ern nach Nyksund und betreibt dort ein Gästehaus

Der Fisch und die Lichter

Auf der Insel Bø wird ebenfalls eifrig daran gewerkelt, den Tourismus anzukurbeln – etwa mit dem neuen „Ringstad Resort“. Das sticht nicht nur durch ein feines Restaurant heraus, sondern auch durch seine markanten Häuschen mit Zimmern, deren hohe Panoramafenster eine unmittelbare Aussicht auf das Wasser bieten.

Bevor es am Abend mit dem englischstämmigen Wahl-Norweger Ian Robbins auf das Wasser zur Adlerbeobachtung geht, steht erst mal die Erkundung der verschneiten Insel mit dem Mini-Van an. Der Guide erzählt: mal von alten Wikingergräbern, mal von einer Outdoor-Galerie mit Kunstskulpturen unter freiem Himmel. Er stoppt für kurze Schneeschuhwanderungen in der arktisch rauen Landschaft und im Ort Hovden an einem der großen Holzgestelle, die man auch auf den Lofoten überall sieht: Skrei, ein besonderer Kabeljau, wird daran in rauen Mengen zum Trocknen aufgehängt, der später als Stockfisch in unterschiedlichsten Teilen der Welt landet.

Frau mit Schneeschuhen auf Bo vor einer Skulptur im Schnee

Auf der Insel  Bø gibt es arktische Landschaft und künstlerische Skulpturen mit  Schneeschuhen zu entdecken

Nach dem Aufenthalt auf Bø führt der Roadtrip wieder zurück nach Melbu, wo am Abend auf dem Weg etwas passiert, was an den vorherigen Abenden entgegen aller Hoffnungen nicht eingetreten war: Zwischen den Sternen am tintenschwarzen Himmel tänzeln urplötzlich die Polarlichter. Erst in Grün, dann mit Rot dazwischen. Mehr als eine halbe Stunde dauert die spontane Show, die vom Straßenrand beobachtet wird. Anders als bei der Trollfjord-Attraktion sind die Polarlichter nichts, worüber man sich streiten muss. Das Lichterphänomen sieht man mit etwas Glück im Winter auf den Vesterålen und den Lofoten.

Anreise
Flug meist mit Norwegian über Oslo und Bodø nach Stokmarknes auf den Vesterålen. CO2-Kompensation 47 Euro, atmosfair.de
Dann weiter mit dem Mietwagen.


Übernachten im recht neuen Ringstad Resort mit komfortablen Zimmern, Panoramafenstern und feinem Restaurant. Außerdem werden unterschiedliche Touren angeboten. DZ/F ab 180 Euro. ringstadresort.no

Melbu  
Hier liegt zentral das teils renovierte Melbu Hotel, wenige Schritte vom Fähranleger.  Mit Restaurant und Tourenangeboten. DZ ab 120 Euro. melbuhotell.no/de

Nyksund
Vom hervorragenden Restaurant Ekspedisjonen bis zur (Winter-)Wanderung kann  man einiges machen. Übernachten  u. a.  im urigen Gästehaus Holmvik Brygge. 
DZ ab 100 Euro (teils mit geteiltem Bad). nyksund.com

Auskunft
visitvesteralen.com
visitnorway.de

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