Wüste in Algerien: Ein Fels in Form eines Elefanten
Nordafrika

Sahara: Wie Wüsten-Trekking mit Tuareg in Algerien abläuft

Wer sich auf Wüstentrekking im Süden Algeriens einlässt, erlebt nicht nur die Faszination der Sahara, Traditionen der Tuareg und Zeugnisse der Menschheitsgeschichte, sondern auch sich selbst neu.

Die Sandwüste Erg d’Admer scheint schier unendlich. Bouaza, der Guide der Gruppe, marschiert voran, dem Sand und der Weite entgegen. In seinem indigoblauen, knöchellangen Männerkleid der Tuareg (Gandura) und dem traditionellen Chèche am Kopf verkörpert er die würdevolle Erhabenheit der Sahara. Den Blick geradeaus gerichtet, murmelt er plötzlich: „Un manque – eine(r) fehlt!“ Tatsächlich: Ein Wanderfreund aus der Gruppe ist zurückgefallen und im ewigen Auf und Ab der Dünen nicht zu sehen. Um das zu bemerken, muss sich Bouaza nicht umdrehen – als Tuareg spürt er das. „Die Sahara schärft die Sinne!“ ist sein lapidarer Kommentar auf unser Erstaunen. „Das lernen wir von klein auf.“

Bouaza in der indigoblauen Gandura

Bouaza in der indigoblauen Gandura  ist Meister im Spurenlesen im Sand.

©Claudia Jörg-Brosche

Acht Tage zuvor war die zehnköpfige Trekkinggruppe aus Österreich und Deutschland in eine völlig fremde Welt aufgebrochen: In die bizarr-schroffe Marslandschaft des Nationalparks Tassili N'Ajjer und das wogende Sanddünenmeer der Erg d’Admer. Beides im äußersten Südosten Algeriens, dem größten Staat Afrikas. Dort, wo die Sahara angeblich am schönsten ist. Die Region gilt darüber hinaus als Wiege der Menschheit.

Die erste von vielen Überraschungen ...

Algerische Sandwüste

Algerische Sandwüste

©Claudia Jörg-Brosche

Eine gute Woche im riesigen Nichts

Zunächst verabschiedet sich das Grüppchen Wüstenwanderer von jeglichem Komfort und jedweder Zivilisation: Auf uns warten acht Nächte im Zelt und ein Leben am Boden im Sand. Toilette, Fließwasser, Handynetz, Tisch und Sessel, elektrischer Strom, menschliche Zivilisation – alles Fehlanzeige! Wir befinden uns allein inmitten eines lebensfeindlichen, riesigen Nichts im totalen Nirgendwo (der Nationalpark Tassili N’Ajjer ist so groß wie ganz Österreich minus Oberösterreich). Nach der ersten kalten Nacht im Zelt und Sandknirschen überall gestehen einige Mit-Abenteurer ein: Eigentlich will ich nach Hause. Das minimalistische Leben ist alles andere als einfach.

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Ein täglicher Höhepunkt für die Gruppe ist das schmackhafte Abendmahl, das die Tuareg am offenen Feuer zubereiten.

©Claudia Jörg-Brosche

Die Aufgüsse der Tuareg

Nach dem ersten Mittagessen heißt uns die Betreuungscrew, fünf Tuareg, mit einer Teezeremonie willkommen (die später täglich zweimal zur lieben Gewohnheit wird): Es gibt drei Aufgüsse von schäumendem, mit Kräutern gewürztem Grüntee: der erste bitter wie das Leben, der zweite stark wie die Liebe, der dritte süß wie der Tod. So sagt die Tuareg-Tradition. Ab nun stehen wir unter dem Schutz des (einst) nomadisierenden Wüstenvolkes und alle bösen Dschinn (Geister) sollten gebannt sein.

Plötzlich passiert, was sich die wenigsten anfangs vorstellen konnten: Die Wüste beginnt uns zu verändern. Tiefer und tiefer tauchen wir in die Einsamkeit des seit Jahrtausenden unveränderten Landstrichs ein. Lediglich vereinzelte Reifenspuren im Sand und Flugzeug-Kondensstreifen am Himmel sind Zeugen der Gegenwart. Die Wertigkeiten verschieben sich, wir finden Gefallen an dem auf das Wesentliche reduzierte Dasein. Was zu Hause wichtig ist, ist hier unbedeutend. Die Wüste reinigt die Seele, sagen die Tuareg, die sich Imuhar („die Freien“) nennen. Wir beginnen zu verstehen. Und werden zu Nomaden auf Zeit.

Trekking-Gruppe in der Wüste Algeriens

Ob Schatten suchen oder Felsmalereien bestaunen: die Wüste als tiefgehendes Gruppenerlebnis.

©Claudia Jörg-Brosche

Wie ein Tag abläuft

Wie es sich für eine Trekkingtour gehört, steht das Gehen im Mittelpunkt. Der Tagesablauf wird Routine: 6.30 Uhr Tagwache, Zelt abbauen, einen deckenden Felsen für die Morgentoilette suchen, kurzes Frühstück. Schon ruft Bouaza „negela negela“ („gemma gemma“ auf Tamaschek, der Tuareg-Sprache). Zu Mittag lange Siesta im Schatten, dann weitermarschieren. Ankommen am nächsten Lagerplatz, an dem bereits die per Jeep herangekarrte Ausrüstung wartet. Zelt aufstellen, Katzenwäsche, Fünf-Uhr-Tee, um den Flüssigkeitshaushalt auszugleichen, Ausruhen.

Das Abendmahl als Höhepunkt

Punkt neunzehn Uhr folgt der tägliche Höhepunkt: Ein köstliches, von den Tuareg am offenen Feuer zubereitetes Dreigang-Abendmahl. Es ist erstaunlich, welch Köstlichkeiten die Männer mitten in der Wüste kredenzen (auftischen kann man hier echt nicht sagen). Während wir im Kreis auf Matten am Boden sitzend schmausen, betreten die Akteure der Nacht das Himmelszelt: Das fahle Licht des Vollmonds ist nicht minder beeindruckend als das Funkeln von Abertausenden Gestirnen und das helle Band der Milchstraße. Das Universum scheint zum Greifen nahe – das spartanische Camp wird zum Tausend-Sterne-Hotel.

Info

Anreise
Mit Air Algérie von Wien oder Frankfurt nach Algier (knapp 3 Std.), weiter per Inlandsflug (2  Std.) nach Djanet; airalgerie.dz
Co2-Kompensation via  atmosfair.com: 78 €

Wüstentrekking-Package
Reiseveranstalter Hauser-Exkursionen  hat vier verschiedene Trekkingreisen im Süden Algeriens im Programm (10 bis 15 Tage). Ein Beispiel ist „Algerien – Rendezvous mit der Sahara“: Trekkingreise ab/bis Djanet; mit Nationalpark Tassili N'Ajjer und Sandwüste Erg d’Admer; 8 Wandertage (täglich 4–5 Stunden, vorwiegend eben, mitunter weicher Sand), 9 Nächte im Zelt, minimierte Jeepfahrten, Höhlenmalereien, Kultur der Tuareg; inkludiert sind komplette Verpflegung (kein Alkohol), 
Reiseleitung, Tuareg-Betreuungsteam, Leihzelt, Gepäcktransport; Flüge ab/bis Frankfurt (inkl. Taxen und -Kompensation), Rail&Fly-Tickets; optional: Reitkamel.
Termine:  10.–19. 10. 2025, 28. 11.–7. 12. 2025, 26. 12. 2025 – 4. 1. 2026, 30. 1.–8. 2. 2026 und 6. 3.– 15. 3. 2026, ab € 2.445, hauser-exkursionen.de

Die Sahara ist keineswegs nur trocken und öd, es gibt viel zu bestaunen: Felsschichtungen wie Blätterteig in allen Farbschattierungen, erodierte Tafelberge, goldene Sandwellen und aberwitzig bizarre, vom sogenannten Wüstenlack schwarz überzogene Sandsteinformationen. Letztere beflügeln unsere Fantasie: Siehst du den Elefanten aus Fels? Das Kamel? Die Schildkröte? Das Bärli mit Honigtopf? Oder da: gotische Wasserspeier wie auf Notre-Dame? – Ja, klar sehe ich das auch! Stündlich verändert sich die Landschaft, das Licht, die Felsszenarien und das Farbenspiel des Sandes. Einmal – nein, es ist keine Fata Morgana – funkelt sogar ein See inmitten der Erg (Sandwüste). Ein Überbleibsel des herbstlichen Regens.

 Im Bild sieht man eine schwarze Wüsten-Agame.

 Im Bild sieht man eine schwarze Wüsten-Agame. 

©Claudia Jörg-Brosche

Tapser im Sand

Die Spuren im morgendlich taufeuchten Sand zeugen vom erstaunlich vielfältigen Leben der Sahara: Bouaza zeigt uns die Pfotentapser von Wüstenspringmäusen, Schakalen, Füchsen und Igeln. In natura sehen wir giftige Sandvipern, Eidechsen, Agamen, blaue Schwarzkäfer, Spinnen, Schmetterlinge, Dromedare und Vogelarten wie Wüstenrabe, Mula-Mula (Saharasteinschmätzer) oder Wüstenläuferlerche.

Auch die Pflanzenwelt zeigt sich dank des letzten Regens vergleichsweise üppig: Wermut-Büsche verströmen einen betörenden Duft; Rispenhirse und das Sahelgras Cram-Cram wuchert stellenweise kniehoch; tapfere, kleine Blümchen sorgen für Farbtupfer, knallgelbe und grüngescheckte Bitterkürbisse (Koloquinte) laden ein, sind aber ungenießbar und der anpassungsfähige Oscherbaum (Calotropis) zeigt sich in violett-giftiger Blütenpracht.

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©Grafik

Am Tag vier unseres Neonomadentums drehen wir das Rad der Zeit rund sechstausend Jahre zurück: herrliche prähistorische Felsmalereien beweisen, dass die Zentralsahara einst eine vegetationsreiche Savannenlandschaft voll Elefanten, Giraffen und Löwen war. Der zweiundsiebzigtausend Quadratkilometer große Nationalpark Tassili N’Ajjer (seit 1982 UNESCO-Welterbe) zeigt mit rund fünfzehntausend bis zu zehntausend Jahre alten Zeichnungen und Gravuren früheste Spuren der Menschheitsgeschichte. Die ausgeprägte Kunstsinnigkeit unserer Vorvorfahren und ihr Können sind unglaublich.

Tuareg in der Wüste.

Tuareg in der Wüste.

©Claudia Jörg-Brosche

Geheimnis der Klingsteine

Noch größer ist das Staunen, als Bouaza „Musikstunde“ ankündigt und eine graue Felsgruppe im Erg ansteuert. Als er mit einem Stein auf einen Felsen klopft, ertönt ein heller, metallischer Klang – ähnlich einer Kuhglocke. Begeistert wie Kinder hüpfen wir zwischen den einzelnen, jeweils anders klingenden Felsen hin und her und schlagen eine halbe Symphonie an. „Bouaza, wie funktioniert das?“ Für den Tuareg ist die Sache klar: Das sind die Dschinn. Erst zurück in der Heimat ergeben Recherchen: Es handelt sich um Phonolith („Klingstein“), ein extrem dichtes, homogenes Gestein vulkanischen Ursprungs.

Info

Klima Die beste Reisezeit ist von Oktober bis April; dann ist es untertags trocken-heiß (bis ca. dreißig Grad) und die Nächte sind sehr kühl (bis null Grad).

Einreise und Sicherheit  Für eine Algerien-Reise ist ein Visum notwendig. Aktuelle Reisewarnungen sollte man auf der Website des Außenministeriums checken.

Buchtipp Mano Dayak: „Geboren mit Sand in den Augen“ (Unionsverlag): Der Tuareg und politische Aktivist erzählt vom Leben in der Wüste und vom Freiheitskampf des Tuareg-Volks.

Die letzten drei Tage gehören dem Erg d’Admer. Nichts wie unendliche goldgelbe Sanddünen in alle Himmelsrichtungen: Bis zu hundert Meter hohe, spitz geformte, sanft geschwungene, in filigranen Wellenmustern gerippte, dachsteil ansteigende, butterweiche, kompakt gepresste. So stellen sich Unbedarfte die Sahara vor, in Wahrheit aber entfallen nur rund zwanzig Prozent auf diese Bilderbuch-Wüstenlandschaft. Ihr Zauber – ganz speziell nach Sonnenuntergang, wenn Himmel und Dünen farblich verschmelzen und der Sand rosarot zu leuchten beginnt – nimmt uns vollends gefangen.

„Die Wüste scheint den Tuareg ewig – und sie schenkt diese Ewigkeit dem Menschen, der sich ihr verbunden fühlt“ endet ein Buch des Tuareg-(Rebellen)Führers Mano Dayak. Ja, die Sahara hat uns verändert. Keiner will schon wieder zurück in die Zivilisation.

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