Wo Pippi Langstrumpf den weltgrößten Schneeball warf
Røros ist nicht nur ehemalige Bergbaustadt, Filmkulisse und Weltkulturerbe. Im historischen Zentrum des Ortes stimmt man sich zwischen Weihnachtsmarkt und Schlittenfahrt auch intensiv auf die Feiertage ein.
Es hat zwar minus neun Grad, aber trotzdem wird es einem in Røros ganz warm ums Herz. Der gelbgoldene Schein der Lichterbögen und Sterne fällt an diesem Vorweihnachtsabend durch die Fenster der bunten, jahrhundertealten Holzhäuser auf die verschneiten Straßen. Hier und da sind Weihnachtsbäume mit Lichterketten geschmückt. Bei jedem Schritt knirschen Eis und Schnee unter den Schuhen. Malt man sich eine norwegische Winter- und Weihnachtsidylle aus, sieht sie wahrscheinlich genauso aus.
Kutschenfahrt in Roros.
©Sascha RettigObwohl es gerade einmal kurz nach acht Uhr am Abend ist, ist kaum jemand auf der Straße. Stille Nacht! Das allerdings wird sich am nächsten Tag ändern. Denn dann beginnt in der Bergmannsgata im Zentrum der viertägige Weihnachtsmarkt, für den rund dreißigtausend Menschen in den zentralnorwegischen Ort nahe der schwedischen Grenze strömen – das sind fast zehn Mal mehr, als hier leben. Dass es trotzdem stimmungsvoll bleibt, liegt nicht zuletzt am historischen Charme der ehemaligen Bergarbeiterstadt. Ganze 333 Jahre wurde in den Minen Kupfererz abgebaut und in Schmelzhütten weiterverarbeitet. Erst 1977 war damit Schluss. „Es war nicht mehr profitabel“, berichtet Guide Fridtjof Medhus bei seiner Führung durch das „Rørosmuseet Smelthytta“.
Drei Jahre später schon wurden die Mine und die Stadt zum Weltkulturerbe erklärt. Denn im Gegensatz zur Schmelzhütte, die Mitte der 70er-Jahre einem Feuer zum Opfer fiel und als Museum wieder aufgebaut wurde, brannte die Stadt nicht ab. „Auch wurden die Holzhäuser nie durch Stein ersetzt, weil es zu teuer war“, erklärt der Guide. So blieb der alte Stadtkern im Grunde komplett erhalten. Damit ist Røros auch in Norwegen eine Besonderheit.
Die Holzhäuser wurden nie durch Stein ersetzt, der alte Stadtkern blieb erhalten.
©Sascha RettigKulisse für Pippi und Netflix-Serie
Wenn man neben der Schmelzhütte auf einen der Schlackehügel steigt, die steinigen Überbleibsel der Kupfergewinnung, hat man einen weiten Panoramablick über die Dächer des Ortes. Die meisten Häuser, die man sieht, stammen zumindest teilweise aus dem 18. Jahrhundert. Viele davon haben ein Torfdach. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die meisten verkleidet mit bunt gestrichenen Holzpaneelen. „Wir haben Hunderte dieser alten Häuser im Stadtzentrum.“
Viele der teilweise aus dem 18. Jahrhundert stammenden Holzhäuser haben Torfdächer.
©Sascha RettigKein Wunder also, dass Filmproduktionen in dieser Kulisse immer wieder drehen. Pippi Langstrumpf etwa baute hier in der Weihnachtsepisode der Serie 1968 den wohl größten Schneeball der Welt. Besonders prominent kommt die Stadt derzeit in der charmanten Netflix-Weihnachtsserie „Weihnachten zu Hause“ zur Geltung – aktuell in der dritten Staffel, in der die Krankenschwester Johanne einmal mehr ihr Beziehungsglück in der vorweihnachtlichen Datingwelt sucht.
Auf ihren Spuren spaziert man in der Bergmannsgata und Kjerkgata an vielen Geschäften und Restaurants vorbei und stoppt in der „Trygstad Bakery“ für ein Stück Kransekake, dem traditionellen Kranzkuchen. Als wahres Weihnachtswunderland fällt der Laden „Lille Røros“ auf.
Künstlerin Ragnhild Bjerkan gestaltet ihren Laden als Weihnachtswunderland.
©Sascha RettigDie Künstlerin Ragnhild Bjerkan beginnt darin schon Monate vor der Adventzeit mit der überbordenden Dekoration und stellt ihr Angebot ganz auf Weihnachten ein. Natürlich sind auch viele Nisser dabei – mit Vollbart und roter Mütze. Er ist so etwas wie ein wichtelartiger Hausgeist, der auf den Höfen lebt. Er beschützt die Menschen, spielt Streiche, und an Heiligabend bringt der Julenisse die Geschenke. Bis heute stellen ihm viele an den Feiertagen eine Schüssel traditioneller Grütze vor die Tür.
Auch auf dem Weihnachtsmarkt von Røros posieren gleich zwei lebendige, kauzige Exemplare dieser norwegischen Weihnachtsmänner für Fotos, während sie zwischen den rund siebzig Ständen umherlaufen.
Zwei lebendige, kauzige Exemplare.
©Sascha Rettig„Wir haben keinen Plastikkrams, sondern legen viel Wert darauf, dass alles ganz authentisch, natürlich und traditionell ist“, sagt die Organisatorin Lillian Sandness. Tove etwa verkauft Ingerlemse, crêpeartige Fladen gefüllt mit Butter und Zucker. An der Bude von „Rørosrein“ bietet Eva Nordfjell aus einer der hiesigen Sami-Familien ihre Rentierprodukte an – von geräuchertem Fleisch bis zur Wurst. Auch der berühmte braune Käse aus Norwegen darf auf dem Markt nicht fehlen, intensiv mit karamelliger Süße.
Nur der Glögg dazu, die skandinavische Glühweinvariante, wird wie fast überall nur in der alkoholfreien Variante ausgeschenkt. Die gesetzlichen Vorgaben dafür sind streng in Norwegen.
In Nachbargassen fahren Pferdekutschen Besucherinnen und Besucher herum. Auf der Schneebühne spielt ein Nisse-Orchester Weihnachtsklassiker. Und in einem der Innenhöfe wird ein Nisse-Theaterstück aufgeführt. Open Air und nur dreißig Minuten, weil es so kalt ist.
Kitsch und Festessen
Wie Røros mit seinem nostalgischen Charme bezirzt, erzeugt dabei einen amüsanten Widerspruch. Früher waren die Lebens- und Arbeitsbedingungen schließlich harsch. Allein schon der schwefelhaltige Rauch der Schmelzhütte! Mütter hätten damals oft gerufen: „Mach die Tür schnell zu, damit nicht so viel Rauch reinkommt“, erzählt Guide Oliver Korssjøen, als der Abstieg in die ehemalige Mine „Olavsgrube“ einige Kilometer außerhalb beginnt. Mit Sicherheitshelm auf dem Kopf folgt man ihm rund fünfhundert Meter weit und fünfzig Meter tief in den Untergrund – und taucht noch tiefer in die Geschichte der Gegend ein.
Im Bergwerk taucht man noch tiefer in die Geschichte der ehemaligen Bergbaustadt Røros ein.
©Sascha RettigZurück in Røros klingt der Tag im „Kaffestuggu“, dem wohl ältesten Restaurant des Ortes, mit einem traditionellen, norwegischen Festtagsessen aus: Soll es Lutefisk sein, ein Gericht aus getrocknetem Kabeljau, der eine spezielle Konsistenz hat und mit Schinkenstücken und Erbsenpüree serviert wird? Oder Ribbe, Bauchfleisch und Wurst mit Kartoffeln, Rot- und Sauerkraut und Sauce? Selbst der größte Festtagsmuffel dürfte jetzt das volle Weihnachtsgefühl haben. God jul!
Info
Anreise Flug nach Trondheim, Umstiege in Oslo oder Kopenhagen. Dann per Mietwagen nach Røros. CO2-Kompensation: 21 €.
Unterkunft
– Das „Røros Hotel“ hat saubere, zweckmäßige Zimmer, ein Restaurant, Pool und Sauna; zehn Minuten zu Fuß vom Zentrum. DZ mit F ab ca. 110 € roroshotellene.no/ roroshotell
– „Bergstadens Hotel & Spa“: Boutiquehotel nahe des Weihnachtsmarkts. Spa und hervorragendes Restaurant „1897“. DZ mit F ab etwa 130 €, bergstadenshotel.no
333 Jahre wurde in Røros Bergbau betrieben.
Auskunft de.roros.no, visitnorway.com
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