
Ausflug zum Nachbarn: Ins schöne, unbekannte Vysocina
Schon einmal den Namen gehört? Nur gut zwei Stunden von Wien entfernt gibt es in dieser Region in Tschechien Schlösser, Bauhaus-Kunst, moderne Brauereien und eine gemeinsame österreichische Geschichte zu entdecken.
Prag und Brünn kennt man. Aber Vysočina? Eher weniger. Dabei bietet diese Region in Tschechien UNESCO-Welterbestätten, sanfte Hügellandschaften, tiefe Wälder, das böhmisch-mährische Bergland – und ist in gut zwei Autostunden von Wien aus erreichbar. Gleich hinter der Grenze offenbart sich der Nachbar als ein Land, in dem vieles noch so ist wie bei uns vor Jahrzehnten: kleine Dörfer, die ganz ohne Plakate oder Werbetafeln auskommen und Straßen, die oft so schmal sind, dass man bei Gegenverkehr besser stehenbleibt.

Brtnice: Das schöne Josef Hoffmann Museum zeigt Ausstrellungen in Koperatiuon mit dem Wiener MAK
©Welley FlorentinaEs gibt viel zu entdecken: versteckte, geschichtsträchtige Orte, barocke Kirchen, modernisierte Stadtviertel, traditionelle Brauereien mit kreativen, neuen Biersorten, junge Kunstgalerien, alte Bauhaus-Architektur – und eine vorwiegend junge Bevölkerung. Aber auch komplette Renaissance-Dörfer, die aussehen wie auf alten Postkarten, verwunschene Schlösser, in denen man sogar übernachten kann, oder weite Heiden, die an Stonehenge erinnern. Und das Beste ist: Overtourism kennt man hier nicht. In dieser weiten Landschaft fährt man gemütlich von Ort zu Ort, vorbei an Feldern und Seen. Auch kulinarisch ist die gemeinsame Geschichte der Habsburgermonarchie gleich zu spüren: Man isst Knödel, Nudeln, Erdäpfel und natürlich auch Schnitzel und Strudel.
Windmühle & Schloss-Kunst
Letzterer ist etwa im süßen kleinen Café Vratka in Třebíč ganz besonders gut. In der kleinen Konditorei, mitten im ehemaligen jüdischen Stadtzentrum, arbeiten Menschen mit Behinderungen, sie fertigen nach jüdischen Rezepten Süßigkeiten und Strudel und stellen Souvenirs in Form von kleinen Lebkuchen her. Nebenan stehen eine Synagoge und das Haus von Seligman Bauer, heute ein Museum mit Original-Einrichtung eines typisch jüdischen Haushaltes der Zwischenkriegszeit. Seit 2003 ist das jüdische Viertel der 35.000 Einwohner-Stadt UNESCO-Weltkulturerbe.

Süße Mitbringsel aus dem Café Vratka in Třebíč
©Welley FlorentinaDie Jugend kehrt gerne in der Whisky-Bar ein und trifft sich im Park Radek, oberhalb des Marktplatzes, mit Blick auf die Denkmäler. Wie eine Windmühle, in der bis in die 1970er-Jahre Sozialwohnungen eingerichtet waren.
Auch in Brtnice, das man von dort in 20 Minuten Fahrt erreicht, zeigt sich ein Stück österreichischer Geschichte: Josef Hoffmanns Geburtshaus. Das Haus ist heute ein Museum, das in Kooperation mit dem Wiener MAK Arbeiten der Wiener Werkstätte sowie österreichischer Künstler zeigt.

Die sternförmige Wallfahrtskirche des hl. Johannes von Nepomuk auf dem Hügel Zelená hora zählt zu den außergewöhnlichsten Sakralbauten Europas
©Czech VibesEinzig, mit den Ortsnamen hat man es hier schwer, denn nicht alle Einwohner sprechen Englisch oder Deutsch. Wer aber nach einer etwa 40-minütigen Fahrt in den Norden nach Žd’ár nad Sázavou kommt, wird mit einem prächtigen Kloster und dem Schlosshotel Žd’ár nad Sázavou belohnt. „Geschichte ist die Quelle der heutigen Kreativität, eine lebendige Gesellschaft ist eine kreative Gesellschaft“, erzählt Schlossherrin Marie Kinsky. Die ehemalige Tänzerin erhielt das Schloss, in dem einst sogar Napoleon übernachtete, nach der Restitution 1994 zurück. Sie baute das Schloss mit ihrem Mann und dem Pariser Architekten Gilles Marty in ein modernes Kulturzentrum mit Museum und Gästezimmern aus.

Das Schloss-Museum Žd’ár nad Sázavou zeigt Geschichte und moderne Kunst
©BeigestelltZwölf Millionen Euro flossen in den Umbau, gefördert von der EU, um Tschechiens Künstler nach der Pandemie zu unterstützen. „Zurück in die Geschichte – das ist das Reisemotto unserer Gäste.“ In dem ehemaligen Zisterzienserstift, das Kaiser Joseph II zum Schloss mit Wirtschaftszentrum umbaute, veranstaltet Marie Kinsky Kunstfestivals, wie im Herbst ein Kürbisevent, im Winter einen Weihnachtsmarkt mit Produkten unterschiedlicher Kulturen oder gibt Tanzworkshops. Jeden ersten Samstag im Monat finden ein Konzert in der Prälatur, Führungen durch das Schloss und Tanzperformances im barocken Freskensaal statt.

Blick auf die Wallfahrtskirche des hl. Johannes von Nepomuk in Žd’ár nad Sázavou
©BeigestelltSehenswert ist auch das Schlossmuseum, mit dem schicken Café, moderner Kunst und einem alten Brauereiofen unter dem Dach. Sowie der Hügel hinter dem Schloss: Hier hat man von der sternförmigen Wallfahrtskirche des hl. Johannes von Nepomuk einen Blick auf Schloss, Moor- und Fischteiche und die herbstlichen Wälder rundum. Der rote fünfzackige Stern symbolisiert übrigens Nepomuks Kreuzigung.

In den Katakomben des Silber-Hauses in Jihlava ist auch Glaskunst zu sehen
©Welley FlorentinaSchon in der nächsten Ortschaft, im nahen Jihlava, gibt es weitere Schätze zu entdecken: etwa das ehemalige Silberhaus, in dem im 13. Jahrhundert Silbermünzen geprägt wurden. Hier gibt es auch eine Glasausstellung, sowie Führungen durch 25 Kilometer lange Tunnelsysteme in zweistöckigen Katakomben, die unterirdisch durch ganz Jihlava gehen. Auch das Elternhaus Gustav Mahlers beim Hauptplatz bietet Neues: die väterliche Likörproduktion ist gut erhalten.
Bier, Bohnen und Druiden
Wer zeitgenössische Kunst liebt und dazu noch frisches, selbst gebrautes Bier trinken möchte, sollte weiter in den Norden, nach Humpolec fahren. Die in einer ehemaligen Tuchfabrik untergebrachte 8smicka gallery gehört zu den renommiertesten Ausstellungsorten für zeitgenössische Kunst in Tschechien.

Humpolec, einstige Tuchfabrik: Kunst-Café in der 8smicka gallery
©Eva BystrianskaAuch das Café in der Galerie ist hip: Zu den süßen Köstlichkeiten wird Kaffee serviert, der säuerlich schmeckt und von grünen Arabica-Bohnen stammt. Die private Kunstsammlung im ersten Stock beherbergt wunderbare Arbeiten junger, tschechischer Künstler.

Die umfangreiche zeitgenössische Kunstsammlung in der 8smicka gallery
©Welley FlorentinaÜbrigens werden auch hier, wie in allen Kunstmuseen Tschechiens, zwanzig Prozent aller Aktivitäten, wie Workshops und Kurse, für Kinder veranstaltet, als Teil des Schulprogramms.

Bierzapfer Zbynku Machovi in der Brauerei Bernard
©Welley FlorentinaTrubel erwartet Besucher in der Pivovar Bernard in Humpolec. Die Brauerei von 1597 wurde 1991, nach der Reprivatisierung, von Stanislav Bernard, Josef Vávra und Rudolf Šmejkal modernisiert. Der Schornstein, heute ein Aussichtsturm, ist nur wochentags geöffnet, um die Privatsphäre der darunter liegenden Gärten am Wochenende zu schützen.
In der Schank werden Workshops vom Bierzapfer Zbynku Machovi angeboten, der zu den besten des Landes zählt. Gründer Bernard ist bis heute unkonventionell und erfinderisch: von humorigen Werbeplakaten der 1970er-Jahre bis zu alkoholfreiem Bier mit Grapefruitgeschmack gibt es in der Brauerei viel zu entdecken. Wie etwa die geschmorte Hasenkeule im Rooftop-Restaurant mit Blick über Humpolec.

Der Steinkreis auf den Hügeln bei Svatá Kateřina in Počátky ist der größte Steinkreis Tschechiens
©Resort Svatá KaterinaRuhesuchende finden wiederum an der Grenze zwischen Böhmen und Mähren in Počátky, auf 730 Höhenmetern, tiefe Nadelwälder, Heiden mit roten Gräsern, Moorteiche, Seen und das Ayurveda-Resort Svatá Kateřina. Das frühere Heilbad, in dem Franz Kafkas Onkel Kurarzt war, galt im 19. Jahrhundert als Hotspot der Wiener High-Society, die das gesunde Mikroklima und die Nähe zu Wien schätzten. Wer durch den öffentlich zugänglichen Naturpark wandert, reitet, Rad fährt oder ihn im Winter per Langlauf erkundet, trifft auf Rehe und Hasen und die barocke Kapelle St. Katherina samt Heilwasserquelle, nach der das Resort benannt wurde.

Das Ayurceda-Spa Svatá Kateřina liegt mitten im Naturschutzgebiet von Počátky
©BeigestelltDie Wege führen am modernen Brutalismus-Gebäude des Ayurveda-Spas und einem Jugendstil-Pavillon vorbei, hinauf auf die Mährischen Hügel, zu Tschechiens größtem Druiden-Steinkreis.

Hier im Speisesaal im Jugenstil-Pavillion von Svatá Kateřina speiste einst der Kurarzt und Onkel von Franz Kafka
©Welley FlorentinaDie heutigen Kurärzte, Ayurveda-Ärzte und -Therapeuten kommen übrigens direkt aus dem Kairali-Health-Center in Indien.

Farbenfrohe Fassaden im UNESCO-Weltkulturerbe-Ort Telč. Ein Musterbeispiel für eine im italienischen Stil erbaute Renaissancestadt
©David FalatWer wieder nach Österreich fährt, sollte noch in Telč die malerischen Gassen und den Teich mit Schlossblick genießen. Auch diese Renaissancestadt ist UNESCO-Weltkulturerbe.
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