Jerusalem, fast ohne Touristen: Wenn die Stille verpflichtet

Blick auf die Klagemauer in Jerusalem mit Menschen und der goldenen Kuppel im Hintergrund.
Israel öffnete erst kürzlich wieder die Grenzen für Individualtouristen. KURIER ReiseGenuss war auf Streifzug durch die heiligen Stätten von Jerusalem, als die Massen noch fehlten.

Donk. Donk. Kinderlachen, als der Fußball von der Mauer abprallt und zwischen zwei Säulen in sein Ziel fliegt. Das Tor mag nicht dem Regelbuch entsprechen, und auch der Austragungsort dieses kleinen Fußballspiels ist durchaus unüblich, aber die zwei Buben amüsieren sich hier, im Arkadengang in Richtung Davidgrab in Jerusalem, prächtig mit ihrem Papa. Der übrigens dabei ist, zu verlieren.

Es ist ruhig in Jerusalem an diesem Sommertag. Es fehlen die Touristen. Seit Monaten herrscht wegen Corona de facto Einreiseverbot für Ausländer. Dort, wo sich sonst die Massen durchschieben und man kaum noch den Steinboden erkennen kann, spielen Kinder. Und die Toiletten beim sonst so belebten Sammelpunkt riechen ausschließlich nach Putzmittel.

Jetzt wurde die Einreisesperre aufgehoben, der Tourismus erwacht wieder. Noch immer gibt es aber strenge Regeln bei der Ankunft. Massen werden vorerst nicht erwartet. Wer die heilige Stadt für Christen, Juden und Muslime sehen will, sollte das jetzt tun.

Die Tour im Sommer – als die Touristen noch ganz fehlen – beginnt am Berg Zion, dem Südwesthügel Jerusalems. Hier befindet sich neben dem Grab von David, dem ersten König Israels, auch der Abendmahlsaal. Jesus hat hier nicht wirklich gegessen, erklärt der Tour-Guide. Die Kreuzfahrer haben das Gewölbe viel später gebaut – anhand von Beschreibungen in der Bibel, so wie vieles hier in der Gegend. Der Kampf um jeden Quadratmeter hat in Jerusalem, und ganz generell in Israel, nie aufgehört.

Eine Karte von Jerusalem (Altstadt) mit den Vierteln, der Klagemauer und Israel.

Bäuchlings am Salbungsstein beten

Innerhalb der alten Stadtmauern gibt es vier Viertel: das armenische, das christliche, das muslimische und das jüdische. Der Ruf des Muezzins zur Mittagszeit hallt durch die ganze Altstadt, ebenso ist der Duft von Weihrauch überall präsent. Und noch eines eint die Bevölkerung: Die Corona-Krise und der Touristen-Ausfall machen ihnen schwer zu schaffen. Die Standler entlang der Via Dolorosa rufen jedem, der auch nur ansatzweise wie ein Tourist aussieht, nach: „We have good price for you!“ Nachsatz: „Now.“ Gute Preise gebe es. Jetzt. Die Jerusalem-Kaffeetassen und Jesus-Schlüsselanhänger sind Ladenhüter.

Die Via Dolorosa führt hinauf zur Grabeskirche. Am Salbungsstein liegt bäuchlings eine Frau mit ausgestreckten Armen. Die Gelegenheit hat man wohl auch nur einmal im Leben. Beim Golgotha-Felsen stehen vier, fünf Menschen an. Einer nach dem anderen bückt sich unter den Altar und greift durch ein Loch im Boden hinunter zum Felsen, auf dem Jesus gekreuzigt worden sein soll. Ganz in Ruhe, es hetzt einen ja niemand.

Blick in das Innere der Grabeskirche in Jerusalem mit Besuchern.

Auch an der Western Wall (der Begriff „Klagemauer“ wird von manchen irritierend empfunden, da gebetet und nicht geklagt wird): fast kein Mensch. Keine Schlange, kein Anstellen in der prallen Sonne. Eine Frau lehnt mit der Stirn an der Mauer des zerstörten Tempels von Herodes, eine andere sitzt mit einem Gebetsbuch im Schoß in einem Plastik-Sessel. (Wer sein Gebetsbuch vergessen hat, kann eines im Automaten um die Ecke kaufen.) Es gibt Regeln, die Touristen wohl deutlich weniger ernst nehmen als jene, die hier fast wie in Trance beten: Man kehrt der Mauer nicht den Rücken zu. Man plaudert nicht. Man macht keine Selfies. Die Stille verpflichtet.

Die Klagemauer in Jerusalem an einem sonnigen Tag.

Ein Tisch voller orientalischer Speisen, darunter Spieße, Brot und Dips.

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