Wir sind eine bunte Gemeinschaft mit sehr unterschiedlichen, starken Frauen. Ich lebe mit vier Mitschwestern, die verschiedensten Berufen nachgehen, in einer Wohnung. Mich hat der Einsatz für eine gerechtere Welt angesprochen, die Fragen nach einem gelingenden Leben und auch unsere sehr menschliche Spiritualität.
Trägt niemand Ordenstracht?
Manche ältere Mitschwestern schon, in meiner kleinen Gemeinschaft nicht. Das ist freigestellt. Wir sind in 27 Ländern vertreten, und man trägt oft die Kleidung der Leute vor Ort, in Indien zum Beispiel Sari.
Eine Ordensfrau zu sein, geht mit Verzicht einher. Haben Sie das denn nie bereut?
Der Weg passt zu mir, wobei ich natürlich auch den Schmerz kenne, keine Partnerschaft und keine Kinder zu haben. Grundsätzlich ist eine Entscheidung für etwas ja immer auch ein Ausscheiden anderer Möglichkeiten. Wer sich zum Beispiel für Kinder entscheidet, muss auch auf etwas anderes verzichten. Aber das ist es den Eltern wert.
Als Bestsellerautorin und Rednerin verdienen Sie wahrscheinlich nicht schlecht. Gehört das dem Orden?
Alles geht in eine gemeinsame Kasse. Von einem Teil bestreiten wir unseren Lebensunterhalt, und ein Teil kommt Sozialprojekten zugute.
Wären Sie also arm, wenn Sie den Orden verlassen würden?
Ich zahle in eine ganz normale Altersvorsorge ein. Und wenn eine Frau die Gemeinschaft verlässt, dann muss sie nicht am Hungertuch nagen. Das ist uns als Gemeinschaft wichtig. Ich bin auch als Mentorin tätig, und das ist für mich ein essenzieller Grundsatz: Nur wer die Freiheit hat zu gehen, hat die Freiheit zu bleiben!
In der Kirche dominieren die Männer. Das wird sich wohl nicht so bald ändern, oder?
Ja, das ist ein langsames, schwerfälliges Schiff, was fatal ist, weil viele junge Menschen der Kirche deshalb den Rücken kehren. Noch schlimmer ist aber, dass die Glaubwürdigkeit des Glaubens leidet. Dabei war die Kirche einmal Vorreiterin bei der Frauenfrage. An der Wiege des Christentums stehen Frauen, und die ersten Auferstehungszeuginnen waren Frauen. Das Ordensleben ist in der abendländischen Geschichte übrigens die erste Selbstorganisation von Frauen, unabhängig vom Mann.
Sie waren Seelsorgerin und sorgen sich auch heute noch um die Seele der Menschen, schreiben Lebenshilfebücher. Was macht ein erfülltes Leben aus?
Drei Punkte, erstens Verbundenheit: Wir sind vom ersten bis zum letzten Atemzug auf tragfähige Beziehungen angewiesen. Aber es geht auch um Verbundenheit mit der Natur und dem göttlichen Geheimnis des Lebens. Selbstbestimmt leben: Sich zu den eigenen Gaben bekennen und Sinn erfahren. Drittens mit sich selbst gut, wohlwollend, aber auch anspruchsvoll umgehen. Und auch gnädig mit sich sein, wenn man an die eigenen Grenzen stößt.
Sie schreiben in Ihrem neuen Buch über Ihre Pilgererfahrungen. Was ist das Faszinierende daran, wie auch an den „Schweigetagen“?
Ich bin in meinem Leben über 8.000 Kilometer gepilgert. Wir sitzen ja viel am Schreibtisch – und es ist wunderbar, einmal vom Kopf in die Füße zu kommen, das Elementare und den frischen Waldboden zu spüren, eine Nachtigall singen zu hören! Pilgern ist häufig mit der Hoffnung verbunden, dass das Wandern auch zu einem inneren Wandlungsweg führt. Es ist ein gutes Übergangsritual, um Umbrüche zu gestalten. Für die Leute, mit denen wir gewandert sind, war dann auch oft die Schweigezeit ein Highlight. Wir raten, 14 Tage lang kein Handy zu benutzen, also: Kappt die elektronische Nabelschnur!
Erleben Sie viel Orientierungslosigkeit bei den Menschen?
Die vielen Krisen verunsichern. Aber es gibt auch eine innere Orientierungslosigkeit. Diese Fragen sollte man sich stellen: Was ist dir wirklich wichtig? Wofür stehst du morgens gerne auf? Wofür oder für wen bist du bereit, die Extrameile zu gehen? Wenn ich das klarer vor Augen habe, habe ich einen inneren Kompass, der mich in meinen Entscheidungen leiten kann.
Sind wir eine aufmerksamkeitsgestörte Gesellschaft?
Ich denke schon. Die Aufmerksamkeitsspanne ist laut allen Studien immens geschrumpft. Viele Apps sind ja darauf ausgerichtet, uns süchtig zu machen. Da wird von den Herstellern sogar von „Brain-Hacking“ gesprochen.
„Gönnen Sie sich Zeiten der Muße, ohne allen Ablenkungen“ und außerdem „Stille“, raten Sie. Aber eine Alleinerzieherin kleiner Kinder kostet das möglicherweise nur ein müdes Lächeln.
Es gibt sicher Phasen, wo das nicht so leicht ist. Aber nur Innehalten kann uns in unserer extrem beschleunigten Welt ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen. Suchen Sie sich wenigstens kleine Zeitmulden: Man kann auch in der Kassaschlange im Supermarkt oder beim Warten vor der Schule auf das Kind einen kurzen Moment bei sich selbst einchecken, statt am Handy. Also achtsam mit dem Jetzt und mit sich in Kontakt sein. Man kann auch eine Kultur entwickeln, sich abends fünf Minuten ans offene Fenster zu stellen, in den Himmel zu schauen und den Tag am inneren Auge vorbeiziehen zu lassen.
Gleichzeitig raten Sie auch zu Veränderung.
Unser Leben ist gekennzeichnet durch zwei Bewegungen: durch Veränderung, Wandel, Bewegung. Und durch Ruhe, Regeneration. Es braucht beide Pole wie beim Ein- und Ausatmen. In uns allen steckt der Wunsch nach Neuem.
Machen Sie sich Sorgen um das Christentum? In Europa ist der Islam dynamisch und auf dem Vormarsch.
Angst um den christlichen Glauben habe ich nicht. Ich bin davon überzeugt, dass die christliche Botschaft so befreiend und heilend ist, dass sie immer wieder Menschen anziehen wird. Allerdings sehe ich mit Beunruhigung Tendenzen, wo ein politischer Islam grundlegende Rechte – sei es in Bezug auf Frauen oder auf freie Religionsausübung – einschränkt. Da muss man klare Grenzen ziehen.
In der Jugend wollten Sie Flötistin werden. Was hinderte Sie daran?
Wegen eines Reitunfalls, bei dem ich mir die Schulter gebrochen habe, konnte ich nicht mehr Querflöte studieren.
Sie treten als Moderatorin und Rednerin oft öffentlich auf – ist das nicht ungewöhnlich für eine Ordensfrau?
Ich habe lange – Philosophie, Theologie, Ethik – studiert und immer dazugelernt. Wissen Sie was: Ich wünsche mir den Tag herbei, an dem den Frauen – und damit auch Ordensfrauen – diese Frage nicht mehr gestellt wird. Für etwas stark auf- und einzutreten sollte selbstverständlich sein, denn das dient dem Lebensglück jeder Frau und der ganzen Gesellschaft.
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