Vom Abseits im Foto über Schulverbot bis Flucht

Eine Gruppe von Kindern sitzt mit einer älteren Frau im Gespräch in einem Raum.
Heute 84-jährige Frau schildert Volksschulkinder, warum sie in deren Alter aus Österreich flüchten musste.

Kommt zu euch der St. Nikolaus?“, fragt die ältere Dame, die im Sesselkreis der 4a der Volksschule Scheibenberggasse (Wien) Platz genommen hat. Ein vielstimmiges „Ja“ schallt ihr entgegen.

Eine ältere Frau sitzt mit Dokumenten in einem Klassenzimmer.
„Zu uns in die Klasse ist er auch gekommen. Und hat gefragt, wer brav wer. Und die Kinder haben Geschenke bekommen. Die die schlimm waren, bekamen Schläge. Aber bei mir ist er stehen geblieben und hat nur die Hand hoch erhoben. Ich war das einzige jüdische Kind in der Klasse“, schildert Hedy Argent, damals Schnabl.

Auf dem Foto im Abseits

Die 84-Jährige zeigt den Kindern auch ein altes Klassenfoto. Neben der Tatsache, dass rund 40 Kinder auf dem Bild zeigen, dass viel mehr Kinder in einer Klasse waren, weist sie auf eine Auffälligkeit hin. Sie und zwei andere Kinder mussten hinten im Abseits stehen. „Außer mir waren das die beiden einzigen protestantischen Kinder.“

Raus aus der Schule

Eine ältere Frau liest einer Gruppe von Kindern in einem Klassenzimmer vor.
Die Erzählung des vielleicht einschneidendsten Erlebnisses ihrer Schullaufbahn trifft auch ihrer Zuhörerer_innen, die im Großen und Ganzen wissen, dass 1938 deutsche Soldaten in Österreich einmarschiert sind, wie ein Donnerschlag. „Als ich am Tag nach dem „Anschluss“ im März in die Schule kam, hat mich meine Lehrerin vor dem Schultor aufgehalten und mir gesagt, dass ich nicht mehr in diese Schule gehen darf, sondern in eine eigene für Juden gehen müsste.“

Noch heftiger wird’s, als Hedy auf den November des Jahres 1938 zu sprechen kommt, „als die Nazis viele jüdische Geschäftslokale und Synagogen zerstört haben, ihrem Vater mittlerweile die Anwaltskanzlei gestohlen wurde und sie nun auch aus der Wohnung mussten, weil jemand von der Nazipartei sie haben wollte.“

Flucht

Eine Lehrerin liest einer Gruppe von vier Kindern in einem Klassenzimmer vor.
Hedy hat die Nazizeit nur überlebt, weil sie als Kind nach England flüchten konnte. „Ich hab mich dann schon bald in England eingelebt, fühl mich auch zu Hause, aber es fehlt mir immer etwas.“

Warum?

Eine Lehrerin sitzt mit einer Gruppe von Schülern im Klassenzimmer.
Die Kinder, die ungefähr so alt/jung sind, wie Hedy es war, als sie flüchten musste, wollen von der Zeitzeugin vor allem wissen: „Warum haben die Leute das gemacht, warum waren sie gegen die Juden, die haben ihnen doch gar nichts gemacht?“
Frau Argent, damals in Schwechat aufgewachsen, versuchte eine erklärende Antwort: „Viele Leute waren arm, arbeitslos, hatten wenig und waren zornig. Und wie oft in der Geschichte haben sie wen anderen gesucht, dem sie die Schuld zuschieben konnten. Das waren damals Jüdinnen und Juden. So hab ich und haben wir hier die letzten Monate vor der Flucht in Angst gelebt. Das ist heute – hoffentlich – anders.“

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