Milica Widhalm ist ein Symbol für die Ablöse bei den ÖBB. Die verlieren bis 2027 15.000 Mitarbeiter aufgrund von Pensionierungen. Und lassen jetzt aufhorchen: Heuer könne man alle 3.000 freien Posten nachbesetzen. Ungewiss sei aber, wie sich der Arbeitskräftemangel in der Zukunft auswirken wird.
Mit 10.000 PS und 230 km/h
Hinter Liesing mit 160 km/h durch den Süden von Wien: Haltestellen, Bahnhöfe, Gegenzüge, Häuser fliegen vorbei. Milica Widhalm ist eine von 164 Frauen, die Lokomotiven der ÖBB bewegen können.
Die gelernte Speditionskauffrau hatte vor acht Jahren eine Werbung der Bahn gesehen: Seither mag sie – so wie damals in einem Slogan in Aussicht gestellt „10.000 PS starke Lokomotiven, die bis zu 230 km/h schnell fahren“. Im August 2015 begann Widhalm mit der Ausbildung.
Sie bereut die karrieretechnische Weichenstellung nicht. Zuvor hatte sie als Kellnerin in Wien gearbeitet: „Da war ich auch viel unterwegs, aber nur an einem Ort.“ Heute trägt sie deutlich mehr Verantwortung.
6.28 Uhr, 4 Minuten Aufenthalt in Wiener Neustadt. „Jede Minute ist bei der Bahn geplant“, erklärt die Lokführerin. „Pünktlichkeit ist für uns Ehrensache.“ Daher: „Ich gehe heute bewusster mit der Zeit um.“
Vor Neunkirchen rechts und links sehr viel Wald. Milica Widhalm achtet mehr auf die Bahnsignale. Sie registriert jedes einzelne. Muss auch die digitalen Anzeigen im Cockpit immer im Blick haben. Versucht auch immer, so energiesparend wie möglich zu fahren.
Ihre erste Fahrt führt sie heute in die steirische Landeshauptstadt. Doch sie bringt auch Regionalzüge von Wien nach Retz, Bernhardsthal, Bratislava, Hegyeshalom, Deutschkreutz oder zum Flughafen. Auch Güterzüge, die in Österreich bis zu 700 Meter lang sein dürfen, fährt sie.
Und dann endlich rauf auf den Semmering, über die historische Ritter-von-Ghega-Strecke mit ihren respektablen Steigungen und engen Gleisbögen. Von ihrer Warte ist die Bergfahrt noch beeindruckender.
Sie hat heute noch einen langen Tag vor sich. Auch das Dienstrad, das keinen Halt vor Wochenenden, Feiertagen und Nachtdiensten macht, ist für Menschen in ihrer Position eine Herausforderung.
Schluck aus der Trinkflasche
Ankunft in Mürzzuschlag um 7.28 Uhr. Milica Widhalm nimmt einen Schluck aus ihrer Trinkflasche. Dann sagt sie: „Während der Fahrt esse ich nicht. In den Pausen ernähre ich mich gesund. In der Freizeit betreibe ich ausreichend Sport – Radfahren, Laufen, Krafttraining.“
Schön ist auch die Fahrt durchs Mürztal, vorbei an Langenwang, Krieglach, Kindberg. Im Bahnhof Bruck an der Mur (7.57 Uhr) erzählt die Lokführerin von ihrer alten Nachbarin in einem Dorf nahe der nordbosnischen Stadt Tuzla, wo sie aufgewachsen ist. Eisenbahn ist dort weniger populär als in der EU. Die Nachbarin hat ihr jüngst anvertraut: „Ich habe nicht glauben können, dass du mit Zügen fährst.“
Laut Milica Widhalm dürften sich auch hierzulande gerne ein paar mehr Frauen für ihren Beruf bewerben: „Man muss das natürlich mögen, dass man als Frau auf den Stützpunkten deutlich mehr Aufmerksamkeit erregt als ein Mann. Aber wir werden vom ersten Tag an gleich bezahlt wie die Männer.“ Zunächst: 2.867 Euro brutto ohne Zulagen.
Ankunft in Graz – pünktlich um 8.34 Uhr. Die Lokführerin wirkt beim Runtersteigen von ihrer Lok gelöst: „Ich bin schon stolz, dass wieder mal alles gut gegangen ist.“
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