"Die Diagnose Lipödem half mir, mich zu akzeptieren"

Schlanke Beine, ein praller Po, eine definierte Taille. Im Sommer regiert auf Instagram ein einheitliches Körperbild, das Frauen, die von diesem Ideal abweichen, massiv unter Druck setzen kann. So ging es auch Kati, die sich im Netz @DominoKati nennt und zu den bekanntesten deutschen Lifestyle-Influencerinnen zählt. Fast eine Million Menschen sehen regelmäßig ihre Instagram-Storys und Youtube-Videos, in denen sich vieles um Beauty und Mode dreht. Doch die 26-Jährige haderte jahrelang mit ihrem eigenen Aussehen – vor allem mit ihren dicken Beinen, die trotz Diäten und Sport nicht schlanker wurden. Und die so gar nicht zu ihrem schmalen Oberkörper passen wollten.
2019 machte sie eine Followerin auf das Krankheitsbild Lipödem aufmerksam: eine chronische, schmerzhafte Vermehrung des Fettgewebes, die vor allem an Hüften, Po und Beinen auftritt. „Ich habe schon öfter solche Hinweise bekommen, sie aber immer als beleidigend empfunden“, erzählt die Hessin, die ihre Beine in Videos so gut es ging versteckte. „Als ich Lipödem gegoogelt habe, war mir sofort klar, dass ich betroffen bin. Das wurde dann zum Glück ärztlich bestätigt.“
Instagram-Aufklärung
Die meisten Betroffenen – fünf bis zehn Prozent der Frauen sollen es in Österreich sein – machen bis zur Diagnose Lipödem einen längeren Leidensweg durch (siehe unten). Denn die Krankheit ist oft schwer zu erkennen, es fehlt an Wissen und Aufklärung. Die schmerzlindernde Fettabsaugung wird nur in seltenen Fällen von der Kasse übernommen und kostet privat ca. 4.500 Euro.
Just auf Instagram hat sich zuletzt eine Szene formiert, die Wissenslücken füllen und Vorurteile bekämpfen möchte. Diese machten auch Influencerin Kati – neben den Schmerzen schon bei sanften Berührungen und ständigen blauen Flecken – am meisten zu schaffen. „Mich nervt dieses: ‚Nehmt doch einfach ab! Ihr seid doch alle nur faul!‘ Dabei kann man an den betroffenen Arealen fast unmöglich abnehmen“, erklärt sie. Die Diagnose sei eine Erleichterung gewesen: „Plötzlich wusste ich, ich bin nicht schuld, nicht undiszipliniert. Vorher dachte ich immer, ich habe es einfach nicht genug versucht.“
Mehr Authentizität
Ihre Beine unverhüllt und ungefiltert im Netz zu zeigen, kostete die 26-Jährige dennoch viel Überwindung. Bereut hat sie den Schritt an die Öffentlichkeit aber nicht. „Ich weiß, dass es vielen etwas gebracht hat. Zum einen den Menschen, die nicht wussten, dass es diese Krankheit gibt. Und zum anderen jenen, die sich in meiner Unsicherheit wiedergefunden haben.“

Nach zwei Operationen geht es ihr heute besser, ihr Buch über die Diagnose Lipödem schaffte es auf die Spiegel-Bestsellerliste. „Mir hat die Diagnose geholfen, mich selbst zu akzeptieren“, fasst Kati zusammen. Ihr Fokus liegt jetzt auf ihrer Gesundheit und weniger auf Köperidealen. „Wenn ich Menschen auf Instagram sehe, versuche ich, objektiv zu schauen: Sie hat blonde Haare, sie ist eher klein, die andere ist eher groß. Genauso versuche ich mich zu betrachten: körperneutral.“
Sie wünscht sich, dass noch mehr Menschen in den sozialen Medien über ihre Unsicherheiten sprechen. „Das würde für so viele den Druck rausnehmen. Weniger Wettbewerb – mehr Menschlichkeit.“
Buchtipp: „Lipödem: Eine unterschätzte Krankheit und wie ich gelernt habe, meinen Körper zu akzeptieren“ von DominoKati. 18,50 €, Eden Books
Bernadette Vago ist Fachärztin für Venerologie und Dermatologie in Wien und Expertin für Lipödem und Venenerkrankungen.
KURIER: Lipödem betrifft jede zehnte Frau. Muss sich jede Frau mit Cellulite Sorgen machen?
Bernadette Vago: Nein. Cellulite geht oft mit einem schwachen Bindegewebe einher. Das kann, muss aber nicht zu einem Lipödem führen. Erste Anzeichen treten meist in der Pubertät auf: Durch die hormonelle Veränderung kommt es zu einer Zunahme des Fettgewebes. Jede hormonelle Veränderung – Pille, Schwangerschaft, Schilddrüsenprobleme – kann ein Lipödem verschlechtern.
Woran erkennt man ein Lipödem optisch?
Da sich die Fettzellen durch die hormonellen Veränderungen vermehren, ist dieses Gewebe diät- und sportresistent. Hier beginnt der Leidensweg der Lipödem-Damen: Ihr Körper wird unproportional. Der Oberkörper ist schmal, ab den Hüften kommt es zu Reiterhosen, dicken Ober- und Unterschenkeln. Auch die Arme können betroffen sein. Ganz typisch ist, dass das Lipödem am Knöchel bzw. Handgelenk wie eine Manschette endet und die Füße und Hände nicht betroffen sind.
Welche Beschwerden sind noch typisch?
Massagen oder leichtes Zwicken oder ein Kind im Schoß werden als unangenehm empfunden. Je länger der Tag, desto schwerer die Beine. Patientinnen bekommen leicht blaue Flecken, die lange nicht abheilen. Meist haben sie eine Ärzte-Odyssee hinter sich, um die Ursache zu finden. Weil Sport und Diäten nichts helfen, geben Betroffene oft auf und entwickeln eine Adipositas.
Lässt sich einem Lipödem vorbeugen?
Vorbeugend kann man wenig tun. Lipödem wird meist vererbt, wobei nicht jede Generation betroffen sein muss. Ist Lipödem in der Familie bekannt, empfehle ich, so lange wie möglich auf Hormone wie zum Beispiel die Pille zu verzichten. Eine ausgewogene Ernährung und Bewegung sollten lebenslang eingehalten werden.
Welche Behandlung empfehlen Sie?
Entstauungstherapien wie Kompressionsstrümpfe und Lymphdrainagen helfen, Beschwerden zu lindern. Eine Fettabsaugung des kompletten Lipödems ist die letzte Option. Meist verschwinden nach einer Absaugung die Beschwerden: Die Beine fühlen sich wieder leicht an und sind schmerzfrei.
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