Sag nicht Kipferl zu ihm: Warum jetzt alle Croissants essen wollen

Gauthier Noppe
Die New Yorker stehen Schlange und haben zehn Jahre nach dem Cronut wieder Appetit auf einen krossen Faltenentwurf – auch Österreichs Bäcker beleben das Handwerk um die butterweiche Mondsichel.

Es ist zehn Jahre her, dass Dominique Ansel und seine kleine Bäckerei im New Yorker Stadtteil Soho eine wahre Massenhysterie auslösten. Jeden Morgen stellten sich Menschen stundenlang an, um einen Cronut zu ergattern. Die Kreuzung aus Croissant und Donut, also frittierter Plunderteig, machte den gebürtigen Franzosen zum bekanntesten Zuckerbäcker Amerikas.

Der Pâtissier brach nicht nur mit einer jahrhundertealten Backtradition, indem er die Form und Textur neu erschuf: Beim Cronut handelte es sich um den ersten weltweit viralen Foodtrend. Soziale Medien wie damals die ein Jahre alte Fotoplattform Instagram sowie der Kurznachrichtendienst Twitter sorgten für inszenierte Verbreitung. Und so kam es zum nächsten Hype: Vom Cronut inspiriert erfand die Australierin Kate Reid den Cruffin – eine Kreuzung aus Croissant und Muffin –, der ebenfalls zu einem Internet-Phänomen wurde und auch heute noch gerne aufgetischt wird.

Auch diesen Sommer reißen sich die New Yorker um ein Gebäckstück: Croissantrollen. Zuckerbäcker Scott Cioe von der Brasserie Lafayette wollte nach den schwachen Monaten der Pandemie mit einer neuen Form und bunten Glasuren eine kaufkräftige Kundschaft anlocken. Der Plan ging auf.

Falttechnik

Auch in Österreich darf Plundergebäck am Frühstückstisch nicht fehlen:

Feinschmecker pilgern derzeit in die neueröffnete Bäckerei Ährnst in Wien-Neubau. Laut Gastrokritikern bäckt Julian Lubinger dort die derzeit „besten Butterkipferln der Stadt“. Der Pâtissier setzt auf einen Weizensauerteig und lässt den Teig vier Tage lang gehen – ein hoher Zeitaufwand.

Aber auch die Herstellung des Teiges sowie das Schneiden und Formen des Teiges braucht Zeit: Beim Croissant handelt es sich um einen Blätterteig, der durch Tourieren entsteht, also dem schichtweise Einarbeiten von Butter und dem Falten des Teiges. Wenn die Butter zu weich ist, läuft sie aus. Wenn der Teig zu weich ist und die Butter zu fest, bricht diese beim Einarbeiten und Auswalken.

"Das perfekte Croissant ist knusprig und fluffig, es soll nach Butter und leicht süß schmecken. Wir  verwenden Honig und nehmen uns 48 Stunden Zeit", verrät Bäcker Gauthier Noppe, der mit seiner Boulangerie Noppe in Brunn am Gebirge für Warteschlangen am Wochenende sorgt.

Eine einfache Tour wäre es, wenn der Teig von der Mitte eingeschlagen und von der Mitte wieder zurück einschlagen wird. Bei einer doppelten Tour wird das Teigstück von beiden Seiten in die Mitte geschlagen, dadurch entstehen mehr buttrige Blätter.

Sag nicht Kipferl zu ihm: Warum jetzt alle Croissants essen wollen

"Die Butterschichten sorgen für das spezielle Mundgefühl und für die Optik", wie Georg Öfferl erklärt. Der Bäcker ändert nahezu wöchentlich die Rezeptur – stets auf der Suche nach dem perfekten Croissant. Für die Füllung seiner Stadt-bekannten Cruffins holte er sich Unterstützung von Lubinger, der jetzt eben für den Hype verantwortlich ist.

Butterweich

Auf einen  Kilogramm Teig können schon 350 Gramm Tourierbutter kommen – freilich exklusive der Buttermenge, die sich bereits im leicht süßen Teig befindet. Das erklärt auch den stolzen Energiewert von 500 Kalorien pro Stück.

Dass das Croissant eine Konkurrenz für das Wiener Kipferl ist, glaubt Bäcker Öfferl nicht: "Das Kipferl besteht aus Mürbteig - es sind zwei grundverschiedene Produkte: Der Kunde, der ein Croissant will, lässt das Kipferl nicht weg", meint Georg Öfferl. Eigentlich wollte der bekannte Bäcker auf den krossen Faltenentwurf in seinem ersten Wiener Geschäft verzichten, doch die Kundschaft verlangte danach. Mittlerweile verkauft er mehr Stück des faltenreichen Kipferls als vom mürben Klassiker.

Historie

Übrigens geht der Name des Blätterteiggebäcks auf dessen Form zurück, denn auf Französisch heißt die zunehmende Mondsichel "croissant de lune". Um die Entstehung ranken sich zahlreiche Legenden: Nach einer soll das Kipferl mit der Extraportion Butter nach der Zweiten Belagerung Wiens durch die Türken im Jahr 1683 erfunden worden sein.

Wie Barbara van Melle für ihr Buch "Vom Kipferl zum Croissant" recherchierte, könnte der Österreicher August Zang die Franzosen mit dem Gebäckstück bekannt gemacht haben. Der betuchte Sohn eines Mediziners eröffnete im Jahr 1838 die schicke Boulangerie viennoise in Paris. Dort verkaufte Zang Wiener Handgebäck - für die backfrischen Köstlichkeiten setzte er eigens erfundene Dampfbacköfen ein. Der Unternehmer brachte jedenfalls die "Kiffes de Vienne", Mürbteigkipferl, nach Paris.

Erstmals in einem Nachschlagewerk erwähnt wurde der Begriff Croissant im Jahr 1853, 1863 wird in einem Lexikon auch die Mondform erwähnt.

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