„Der Stein zum Leben“ heißt der
Dokumentarfilm, den Regisseurin Katinka Zeuner aufgrund einer persönlichen Erfahrung drehte: Der Tod ihrer Mutter hatte ihr Leben erschüttert und sie musste einen Weg finden, mit dem Verlust umzugehen. Eine Erfahrung, die Michael Spengler auch selbst gemacht hat. Als er im dritten Lehrjahr seiner Ausbildung zum Steinmetz war, starb seine Mutter.
Den Grabstein – Spengler spricht heute lieber von „Denksteinen“ oder „Grabzeichen“ – entwarf und fertigte er selbst. „Ich merkte, wie gut es tut, selbst etwas zu entwickeln.“ Ein Gedanke, der ihn auch während seines Studiums der Bildhauerei und danach begleitete. „Ich suche nach dem eigenen Ausdruck. Zugleich bin ich Kunstdieb. Ich bediene mich bei allem, was ich gelernt habe.“
Ein Zirkuswagen und ein Frachtcontainer stehen auf dem St.-Elisabeth-Friedhof in
Berlin-Mitte. Hier hat Michael Spengler seine Werkstatt und hier empfängt er die Menschen, die ihm von ihren Toten erzählen. Er hört einem Vater und einer Mutter zu, die ihren zweijährigen Sohn verloren haben. Einer Schwester, die ihren kleinen Bruder begraben musste.
Im Gespräch mit Michael Spengler, 56, findet die Familie Worte für diesen unermesslichen Verlust. Aus Worten werden Material und Form. Der Atem des Kindes soll sich in einem fragilen Kalkstein widerspiegeln, die große Schwester wird ihn mitgestalten. Als der Stein für den verstorbenen
Josef fertig ist, ist seine kleine Schwester bereits geboren.
Es dauert Monate, bis ein Denkstein vollendet ist. Spengler lässt sich und den Angehörigen die Zeit, die sie brauchen. „Manche brauchen Jahre. Das ist egal, es ist ausreichend Platz bei mir.“
Beim ersten Gespräch erkundigt er sich nach dem Verstorbenen, um ihm in Form und Material nahe zu kommen. Welche Farben, Landschaften oder Pflanzen hat er gemocht? Liebte er das Meer oder das Gebirge? Womit hat er seinen Tag verbracht? Gemeinsam mit den Angehörigen entwickelt Spengler eine Idee, baut ein Modell, danach geht es an die Realisierung.
Michael Spengler mag die Menschen. „Durch die Zusammenarbeit mit den Trauernden bin ich zum Philanthropen geworden, zu jemandem, der die Menschen mag. Denn sie kommen an einem Punkt in ihrem Leben zu mir, wo sie sehr angenehm sind. Ehrlich und verletzlich. Sie haben eine fundamentale Erfahrung gemacht und sich die Sinnfrage gestellt. Sie wissen, dass einem am Ende alles im Leben zwischen den Fingern zerrinnt.“
Auch der Tod ist Trends ausgesetzt. Es gibt einen Umbruch in der Begräbniskultur. Für Steinmetz Spengler hat das gute ebenso wie schlechte Seiten. „Auf deutschen Friedhöfen gibt es mittlerweile fünfzig Prozent Urnenbestattungen, viele davon sind anonym, weil es so viele alleinstehende ältere Menschen gibt. Auf der anderen Seite wird das Phänomen Tod auch immer dramatischer. Etwa, wenn ein Kind stirbt.“
Lehrt die Arbeit mit der Endlichkeit etwas über das eigene Leben? „Das wäre zu hoffen. Es tut gut, sich daran zu erinnern, dass man am Ende nichts mitnehmen kann. Dass es gut wäre, nichts auf die lange Bank zu schieben. Dass man Probleme, die es mit anderen Menschen gibt, zu lösen versuchen sollte. Wenn ich morgen abtrete, soll nichts liegen bleiben.“
Wird man nach jahrelanger täglicher Begegnung mit dem Tod abgehärtet? „Nein, sonst könnte ich diese Arbeit nicht machen. Der Tod geht mir nahe. Ich empfinde meinen Beruf aber nicht als traurig. Ich sehe mich als jemanden, der helfen kann, dass Wunden gut vernarben. Und das ist sehr beglückend.“
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