Advent-Essay: Von einem zähen Reh und Suzi Quatros Lackstiefeln

Advent-Essay: Von einem zähen Reh und Suzi Quatros Lackstiefeln
Ein Geschenk, an das ich mich immer erinnern werde. Von Gabriele Kuhn.

Weihnachten ist vieles – etwa so lange Glühwein zu trinken, bis man den gefilzten Hut Modell Annegret, mattbeige, wunderschön findet. Und ihn tatsächlich kauft, obwohl man niemals Hüte trägt und die Aufforderung Filz mal was! für eine gefährliche Drohung hält.

Weihnachten ist eine der großen Volksschwächen. Die anderen beiden sind Autos und Fußball, schrieb Max Goldt. Was Weihnachten ebenfalls ist: Erinnerung. Da gibt’s allerdings einen Hang zur sogenannten Lamettaisierung. Was das ist? Ganz einfach: Der Mensch schmückt Unerfreuliches gerne im Geiste mit Fäden aus Silber und Gold – und schon glänzt ein bisschen, was nicht glänzend war. Hauptsache, schön war’s wieder, gell?

Eierlikör & Heulkrampf

Das Kulinarik-Desaster Reh, leider zäh & Rotkraut, leider verkohlt etwa, das die Schwiemu mit einem süffisanten Na, das sind vielleicht Weihnachten! konnotierte. Und damit die Schwiegertochter dazu veranlasste, sich mit Heulkrämpfen und Kochschürze in die Waschküche zurückzuziehen. Jahre später wird all das als liebliche Anekdote erzählt, in der Reh und Rotkraut herrlich geschmeckt hätten und die Stimmung wunderbar war. Dass die beiden Damen noch vor dem ersten Gang gemeinsam ein Ein-Liter-Gebinde Eierlikör kippten, wird nur leise erwähnt.

Erinnerung ist, was man daraus machen mag. Schon okay so, zumal ich es mit Ben Furmans Buch Es ist nie zu spät, eine glückliche Kindheit zu haben halte. Manchmal ist erwähnte Lamettaisierung eben das beste Rezept gegen die Wucht des Vergangenen.

Plateau-Sohlen-Wunder

Dazu eine Geschichte: Ich war 15, als mein Vater mit 49 Jahren starb, und ich weiß noch, wie ich mich vor dem ersten Weihnachtsfest ohne Papa fürchtete. Viel Geld war nicht da, Mama bereitete mich darauf vor, dass dieses Fest bescheiden ausfallen würde. Schwierig für eine Pubertierende, die wie die Popsängerin Suzi Quatro aussehen wollte. Die Frisur war schon da, fehlten nur noch Plateaustiefeln. An genau solchen Stiefeln stiefelte ich im Dezember 1976 täglich vorbei – auf dem Weg zur Schule und wieder heim.

Advent-Essay: Von einem zähen Reh und Suzi Quatros Lackstiefeln

Suzie Quatro im Jahr 2003.

Jeden Tag starrte ich auf das Knautschlack & Plateausohlen-Wunder. Jeden Tag erzählte ich meiner Mutter davon. Jeden Tag sagte sie: Hör auf, zu träumen. Die kann ich mir nicht leisten. Eines Tages waren die Stiefel weg und in der Auslage standen stattdessen Patschen aus kariertem Filz. Traurig stellte ich mir vor, wie sich ein anderes Mädchen in Suzi Quatro verwandeln würde. Das Wünschen und Träumen war vorbei.

Modell "Suzi Quatro"

Dann kam der Heilige Abend. Es lagen nur wenige Geschenke unter dem Baum, vor allem Kleinigkeiten. Ich freute mich über alles. Doch plötzlich sagte meine Mutter: Schau, da hinter dem Baum – du hast was übersehen. Da – ein Packerl, in verknittertes Engerl-Papier aus dem Vorjahr gewickelt. Mein Herz klopfte, ich wickelte das Ding aus. Drin war – ein Schuhkarton. Oh Gott – mit meinen Traum-Knautschlackstiefeln Modell „Suzi Quatro“!

Seitdem weiß ich: Weihnachten ist am schönsten, wenn man nicht damit rechnet. Und noch heute sag’ ich es gerne mit Suzi und einer Zeile aus ihren Songs: Ooh-ooh la-la-la ooh-ooh la-la-la Oooooooooaaaaaah. Es bedeutet: Das Leben ist gut zu mir.

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