Singende Seele: Gedanken eines herausragenden Sängers

Groissböck (stehend) als Gurnemanz in Paris, Andreas Schager sang den Parsifal.
Günther Groissböck über Ausgelacht-Werden, Entschleunigung und die Probleme der (Klassik-)Welt.

Der Österreicher Günther Groissböck ist in seinem Fach weltspitze. Er hatte immer schon höchste Ansprüche. Die erfüllt er jetzt auch mit der Lieder-CD „HERZ-TOD“. Er ließ den KURIER-Autor an seinen Gedanken teilhaben: über seine Karriere, die schon seltsam begann, über die Aufgabe von Künstlern und die Probleme der (Klassik)-Welt.

Es ist eigentlich eine verrückte Geschichte, wie ich Sänger wurde. Als kleiner Bub habe ich zwar geträumt, Pianist und Dirigent zu werden, denn ich habe gar nicht schlecht Klavier gespielt gespielt. Aber die Stimme war damals noch überhaupt kein Thema. Mit 19 wurde ich dann sozusagen aus der Badewanne gefischt, bei einer Geburtstagsparty. Ich habe zu später Stunde, nicht mehr ganz nüchtern, etwas geträllert. Musikkompetente Freunde haben mich dann zu einem Professor, dem ich vorsingen sollte, auf die Hochschule geschickt – ob eine Aufnahmsprüfung denn überhaupt Sinn machen würde . Ich habe dort den „Abendstern“ von Wolfram aus dem „Tannhäuser“ gesungen. Dann hat der Professor mit mir ein paar Skalen durchgesungen und gemeint: Wow toll. Aber das ist wie ein Führerschein-Neuling, der in einem Ferrari sitzt und keine Ahnung hat, wie er die Instrumente bedient.

Er hat mir aber auch gesagt: „Sie werden kein lyrischer Bariton, das klingt bass-verdächtig.“ Er hatte recht: Heute bin ich Basso cantante, ein hoher Bass mit einer Tendenz zum Heldenbaritonalen, die ich allerdings sehr behutsam erweitern will.

Ich bin danach ohne eine einzige Gesangsstunde zur Aufnahmsprüfung an die Hochschule gegangen. Da wollte ich gleich Wotans Abschied singen, was natürlich ein ulkiger Gedanke war. Ich bin zum Musikhaus Doblinger gegangen und habe mir die Noten besorgt. Dann habe ich, da ich ja Klavier spielen konnte, gesehen: Das kann der Pianist dort niemals vom Blatt spielen. Singen hätte ich das natürlich können, dachte ich mir. Aus Rücksicht auf den Pianisten habe ich dann doch nur „O Isis und Osiris“ aus der „Zauberflöte“ gewählt, das schafft jeder Pianist. Ich habe also damals nur pianistisch gedacht. Vom Singen hatte ich ja keine Ahnung. Heute weiß ich, dass das verrückt war. Aber dieses Ausgelacht-, dieses Für-Verrückt-Gehalten-

Werden habe ich oft erlebt. Das war auch, als ich 2014 als Ochs im „Rosenkavalier“ gleich bei den Salzburger Festspielen debütiert habe. Viele Leute haben mir damals gesagt: Du bist ja geisteskrank. Und ich habe geantwortet: Warum denn nicht?

Im Jahr 2020 kommt der Wotan im neuen „Ring“ bei den Bayreuther Festspielen. Das wird wieder so eine verrückte „Harakiri-Partie“. Aber wenn alles normal läuft und ich gesund bleibe, wird auch das gut klappen.

Ich mache solche Dinge nicht aus irgendwelchen manischen Gründen. Oder gar aus Geldgier. Das ist eher eine Art strenge Prüfung für mich. Ich möchte mir selber beweisen, dass ich das schaffe. Noch habe ich diesen Idealismus, manchmal vielleicht sogar Fatalismus. Und auch eine gewisse Unerbittlichkeit. Damit kann man mehr erreichen, als man denkt.

Kein hohler Konsument

Diesen Idealismus hatte ich auch bei meinem neuen Projekt, der CD „HERZ-TOD“. Das soll ein Versuch sein, das romantische deutsche Kunstlied mit einem etwas moderneren Image zu versehen. Eine Art von Aktualität und Sinnlichkeit zu erzeugen, die viele Menschen heute ansprechen könnte. Und die im Idealfall neugierig macht auf diese oft zu abgehoben, intellektuell daherkommende Kunstform. Außerdem hat mich im Zuge der Wahl dieses schroffen, aber thematisch wohl idealen Titels „HERZ-TOD“ das Phänomen des in unserer Zeit emotional immer weniger geerdeten Menschen beschäftigt. In unserer modernen westlichen, kapitalistisch orientierten Welt ist das beinahe eine Krankheit, die viele Menschen in einer Art flachen geistigen Hyperaktivität hält und sich von ihren tieferen Wurzeln, Instinkten und Gefühlen entfernen lässt. Dabei entsteht oft gleichzeitig dieses diffuse Gefühl des permanenten Unbehagens und der Angst. Diese wiederum ist der perfekte Nährboden für alle Arten der Manipulation. Für mich aber ist der Mensch ein Wesen mit Seele und nicht nur ein manipulierbarer, hohler Konsument. Und die Aufgabe des Künstlers ist in diesem Zusammenhang daher durchaus auch eine seelentherapeutische. Ich nenne mich selbst gerne eine „singende Seele“. Als solche und als jemand, der sich zu einer Art des „Authentizitäts- Fundamentalismus“ bekennt, glaube ich daran, dass es am Ende doch immer das richtige Maß an ehrlich dargebrachtem Herzblut, Schweiß und Tränen ist, das wahre Dinge entstehen und über die Zeiten hinweg bestehen lässt.

Ein Zeichen

Diese Platte ist nur ein bescheidener Versuch, etwas Wahrhaftiges wiederzugeben, soll aber auch ganz bewusst ein Zeichen des Gegentrends sein. Ein Gegentrend gegen die hohle Verboulevardisierung der sogenannten klassischen Musik. Ich hatte mit Universal Österreich einen Superpartner. Wir hatten ein schlankes Budget, ich musste aber selber nichts dazu beisteuern und konnte in allen Bereichen sehr frei mitgestalten. Ich werde natürlich nicht mit einer CD den Klassikmarkt retten, das ist mir klar. Aber vielleicht gelingt es, dass man die Leute wieder ein bissl zum Hören, zum Insichkehren besinnt. Dass man sie Qualität lehrt. Was es bedeutet, sich nur auf einen Sinn zu konzentrieren.

Wir sind ja die „Generation Smartphone“, die dauernd Bilder, dauernd Reize braucht. Diese Leere ohne Smartphone wieder durch eigene Geistesarbeit zu befüllen, durch eine Reduktion auf einzelne Sinne, auf Fantasie, neue Gedankengänge – wenn wir das manchmal schaffen, wäre es großartig. Es gibt diese Sehnsucht nach dem Durchatmen, nach Entschleunigung.

Das Kernstück meiner CD sind die „Wesendonck-Lieder“ von Richard Wagner. Ich spiele sie als erster Bass überhaupt ein. Das ist für mich aber nicht wie eine Mount-Everest-Erstbesteigung, dass ich mir ein Denkmal setzen will. Mich hat die Klangwelt von „Tristan und Isolde“, die ja stark mit den „Wesendonck- Liedern“ verbunden ist, immer fasziniert. Ich habe aber aufgrund meines Stimmfaches nicht die Chance, in diesen „Tristan“-Rausch einzutauchen. König Marke, den ich in diesem Werk singe, trauert, hadert und zweifelt, aber er kommt nie in diesen drogenartigen, transzendentalen Klangrausch.

Für mich ist das aber auch ein Ziel für einen Sänger: So tief in eine andere Welt einzutauchen, dass man im Sich-Selbst-Verlieren einen Großteil des Publikums mitreißt. Das ist der Zenit an Erfüllung in meinem Beruf.

Ja, Oper kann eine Droge sein. Und bei der deutschen Romantik darf und soll sie es auch manchmal sein. Diese Balance zwischen Kontrolle und Loslassen zu finden, ist aber ganz heikel. Ich mag das Wort „Sau rauslassen“ nicht so gern. Aber es ist schon schön, dieses Tier, wie man es dann auch immer nennen will, rauszulassen. Das kann bei dieser Art von Partien natürlich auch an die Substanz gehen.Vielleicht soll es aber manchmal auch ein bissl unsauber sein. Das ist ja eines der Probleme unserer Klassikwelt: Es gibt zu viele zu kontrollierte Leute. Dabei ist das Faszinierende eben das, wenn nicht jeder Ton in beinahe steriler Art super-sauber ist. Ich denke da immer an Leonie Rysanek, Gwyneth Jones oder auch Maria Callas. Bei letzterer speziell, wenn die ganze persönliche Tragik ihres Lebens in der Stimme zu hören ist. Das ist es. Es muss eben einfach echt sein.

Lieber Zürich als Wien

Ich bin ein extrem freiheitsliebender Mensch. Ein Wildtier, das sich am wohlsten fühlt, wenn es Herr über seinen eigenen Kalender ist. Seines eigenen Schicksals Schmied. Angefangen habe ich 2002 als Karajan- Stipendiat an der Wiener Staatsoper. Das war ein teilweise sehr mühsames Jahr. Ich konnte dem Angebot von Alexander Pereira, nach Zürich zu kommen, daher nicht widerstehen. Dort war ich dann von 2003 bis 2007 im Ensemble. Er hatte einen klaren Plan für meine Stimme und hat mir eine seriöse Zukunft versprochen. Das gab es in Wien in dieser Art nicht. Ich habe viel erlebt in dieser Stadt, an Arroganz, an Nicht-Willkommen-Sein. Ich dachte mir damals: Geh’ nach Zürich, in Wien mag dich sowieso keiner.

Ich lebe immer noch in der Schweiz, im Tessin, meine Frau ist von dort. Herzmäßig würde ich als mein Lieblingshaus übrigens die Bayerische Staatsoper bezeichnen. Dort singe ich noch in diesem Jahr in der Neuproduktion von „Die verkaufte Braut“ zum ersten Mal den Kezal. Das ist übrigens dann das erste Nicht-Wagnerische-Stück in diesem Jahr. Ich hatte 2017/’18 die totale Wagner-Diät, seit November in der Oper nur Wagner.

Im Sommer bin ich wieder in Bayreuth, diesmal als Gurnemanz in „Parsifal“ und wieder als Pogner in den „Meistersingern“. Mir wird oft gesagt, dass meine Stimme für Bayreuth gut passt, deshalb werde ich auch dort als Wotan debütieren, obwohl es für diese Partie auch Angebote von zwei weiteren großen Häusern gab. In Bayreuth gibt es ja diesen berühmten Deckel über dem Orchestergraben, das hilft Sängern zumindest psychologisch. Allerdings: Der Deckel ist akustisch sehr gut nach außen, in den Zuschauerraum, aber oft nicht so ideal für die Sänger. Manchmal kriegt man eine Klang-Welle rauf auf die Bühne, wo man sich denkt, uff. Grad bei den „Meistersingern“ kommt der Streicherklang oft so üppig, so wuchtig hoch, viel ärger als in anderen Opernhäusern. Da muss man einfach cool bleiben und nicht dagegen stemmen. Auch die Verzögerung des Schalls macht es kompliziert. Der Graben in Bayreuth ist nach hinten hin sehr tief. Und Schall ist bekanntermaßen langsamer als Licht. Bis der Schall nach oben kommt und dann in weiterer Folge nach hinten in den Zuschauerraum, dauert das. Da muss auch der Dirigent gelegentlich mal entspannt bleiben. Als Sänger muss man primär dem Klang vertrauen und nicht immer exakt dem Schlag des Dirigenten, speziell wenn dieser etwas zu sehr im Voraus dirigiert.

Grundvoraussetzung: Urmisstrauen

Ich frage mich manchmal, wie ich reagieren würde, wenn meine Tochter unbedingt Sängerin werden will und in der Badewanne immer Hojotoho sänge. Ich würde sie natürlich unterstützen, aber ich glaube, dass es in diesem Beruf kein Nachteil ist, eine zweite Option zu haben. Ich würde sie dringend dazu motivieren, noch eine sogenannte gutbürgerliche Ausbildung zu machen. Wenn jemand die Berufung spürt, Sänger zu werden, dann muss er selbstverständlich der Stimme seines Herzens folgen. Das Allerwichtigste ist aber, dass man einen gesunden misstrauischen Instinkt entwickelt, speziell gegenüber den Lehrern. Man braucht diese Art Urmisstrauen in diesem Beruf, das ist die Grundvoraussetzung. Eine gesunde innere Stimme als Gegenpol zu jeder Autorität, egal wie berühmt diese auch sein mag. Das eigene Instrument ist so etwas Individuelles, dass es keine allgemeingültigen Patentrezepte geben kann. Die Menschen müssen ein gesundes Selbst entwickeln, nicht ein aufgeblasenes Ich oder Ego. Aber das gilt wohl nicht nur für Sänger.

Zwei Filme meiner Kinder- und Jugendzeit begleiten mich auf dieser etwas idealistischen Reise immer. Zum einen „Der Club der toten Dichter“, wo der wunderbare Robin Williams alias Mr. Keating die jungen Studenten genau in diese Richtung zu lenken versucht: zur Eigenwahrnehmung, Selbstständigkeit und letztlich auch zum Mut zu sich selbst.

Und zum anderen die Welt von Fantasien in Michael Endes „Unendlicher Geschichte“, die durch die dunklen Kräfte des sogenannten „Nichts“ bedroht ist. Es ist jene Leere, die zurückbleibt, wenn die Menschen aufhören zu träumen. Eben das zu verhindern – dazu sind wir aufgefordert, unsere künstlerischen Talente so ernst und gewissenhaft wie nur möglich weiterzuentwickeln. Um letzten Endes als wahre Seelen-und Herzensbereicherer tätig sein zu können.

Singende Seele: Gedanken eines herausragenden Sängers

Günther Groissböck wurde 1976 in Waidhofen an der Ybbs geboren. Der Bass zählt zu den gefragtesten Opernsängern der Welt. Auf seiner neuen CD „HERZ-TOD“ (erschienen bei Decca) singt er „Vier ernste Gesänge“ (Johannes Brahms), „Wesendonck-Lieder“ (Richard Wagner), „Michelangelo-Lieder“ (Hugo Wolf) und „Rückert-Lieder“ (Gustav Mahler). Auf dem Klavier wird er von Gerold Huber begleitet.

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