Ziferblat: „Wir lieben Kiew, das ist unser Zuhause“

Es gibt einen Moment im Gespräch mit der ukrainischen Band Ziferblat, der verblüfft: Gitarrist Walentyn Leschtschynskyj erzählt, wie er, sein Zwillingsbruder Danyjil, und Drummer Fedir Chodakow zurzeit in Kiew an Songs arbeiten: „Es gibt jeden Tag Luftalarm. Wir entscheiden dann, ob wir in Schutzräume rennen oder nicht. Denn wenn wir das bei jedem Alarm machen würden, würden wir den ganzen Tag nur im Schutzraum sitzen!“
Diese Haltung, erklärt er, habe nichts damit zu tun, dass sie keine Angst hätten: „Natürlich haben wir Angst – wie jeder. Selbstverständlich renne auch ich in den Schutzraum, wenn ich in der Nacht Explosionen höre. Dann ist das sehr wichtig. Aber wir sind schon an diese Situation gewöhnt, und man hat Möglichkeiten, das Risiko abzuschätzen: Es gibt Internet-Kanäle, die dir sagen, was genau los ist. Wenn ballistische Raketen im Anflug sind, dann hast du fünf Minuten und musst rennen. Aber wenn nur 10 oder 15 Drohnen zufliegen, ist es nicht so schlimm. Dann entscheiden wir uns, dass wir weitermachen.“
Bekannt wurden Ziferblat, die sich nach ihrem Lieblingscafé in Kiew benannt haben, als sie mit ihrem Song „Bird Of Pray“ beim Eurovision Song Contest antraten. Natürlich ist der auch im Programm, wenn das Trio am Donnerstag im Rahmen des „Vienna Waves“-Festivals im Club „The Loft“ auftritt.
Eröffnet wird das traditionelle Showcase-Event heute, Mittwoch, mit einem Jubiläumskonzert zum 15-jährigen Bestehen, bei dem im Volkstheater arrivierte Acts wie Oska, Christina Stürmer, Hans Platzgumer und Oskar Haag auftreten. Bis Samstag werden sich über 100 aufstrebende Acts in mehr als zehn Lokalen rund um den Lerchenfelder Gürtel vorstellen.
Ziferblat wollen die ganze Zeit dabei sein, drei Tage in Wien bleiben und sich alles anschauen. Erstens, weil sie sich als Indie-Band sehen und solche Festivals fernab vom ESC-Mainstream lieben. Zweites, weil sie noch nie hier waren: „Wien ist eine sehr schöne Stadt“, sagt Danyjil, der auch klassische Musik liebt. „Ich fand beim ESC euren JJ und 'Wasted Love', diese Verbindung von Oper und Pop, so toll. Das war ein großartiger, verdienter Sieg.“
Abgesehen davon freuen sich Ziferblat darauf, mit geflüchteten Ukrainern in Kontakt zu kommen. „Wir machen nach den Konzerten immer Fotos mit den Fans“, erzählt Walentyn. „Rund die Hälfte davon sind Ukrainer. Natürlich ist es speziell, zu sehen, wie es unseren Landsleuten im Ausland geht. Aber wir freuen uns über jeden, der kommt.“
Die Musiker betreiben mit den Auslandskonzerten zwei Benefiz-Organisationen. Für die eine versteigern sie Mitbringsel vom ESC, Zutrittspässe oder die ukrainische Flagge mit den Unterschriften von allen Teilnehmern. Der Erlös daraus geht direkt an die Armee. Mit der anderen Organisation finanzieren sie die Minenräumung. „Das ist so wichtig für die dortige Bevölkerung“, erklärt Walentyn. „Und es kann mit Drohnen gemacht werden. Die Ukraine ist in dieser Entwicklung führend, und wir haben gerade Orte besucht, wo sie diese Systeme testen.“
"Wir dienen in der Armee"
Ihrem Land zu helfen, ist Ziferblat ein Anliegen. Nie, sagt Walentyn, hätten sie daran gedacht, zu fliehen: „Wir lieben Kiew, das ist unser Zuhause. Abgesehen davon ist es auch gar nicht möglich. Wir sind Männer über 25. Wir sind 28 Jahre alt und haben Bürgerpflichten. Mit ein Grund für die Charity-Organisationen ist, dass wir nur für Benefiz-Konzerte ausreisen dürfen. Wir dienen in der Armee. Wie genau, dürfen wir nicht sagen, wir haben eine Geheimhaltungserklärung unterschrieben. Aber es gibt viele Sachen, die man fernab vom Kämpfen an der Frontlinie machen kann.“
Was nicht heißt, dass Ziferblat nicht auch dort sind. Sie spielen häufig Konzerte für die Soldaten, traten in Dnipro und Saporischschja auf, waren dabei nur 20 Kilometer von der Front entfernt. Aber: „Wir machen das sehr gerne, denn es ist so wichtig für die Mentalität der Truppen, wenn sie einmal für ein paar Stunden entspannen und sich unterhalten können.“
Natürlich fließt all das in die Songs ein, die Ziferblat seit Kriegsbeginn schreiben. „Wir reflektieren damit, was vorgeht. Songs zu schreiben, hilft uns, damit umzugehen und Ruhe zu bewahren. Aber wir vermeiden, in den Songs den Krieg direkt anzusprechen. Wir schauen, dass man sie immer noch auf eine zweite oder dritte Art interpretieren kann. Allerdings werden unsere Songs zurzeit nur damit in Verbindung gebracht – selbst wenn sie lange vor dem Krieg entstanden sind und von ganz anderen Dingen handeln.“
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