"Grief of Red Granny": Der Tod soll sich am anderen Ende der Stadt verirren

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Pergolesi mit Rockband trifft auf afrikanische Trauerrituale: „The Grief Of Red Granny“ bei den Wiener Festwochen.

Das mit den „sieben Phasen der Trauer“ ist natürlich gut gemeinter Unsinn, ein Schema, in das man etwas einzukasteln versucht, das notwendigerweise form- und grenzenlos ist. Wer einen geliebten Menschen verliert, der trauert auf 1000 unermessliche Arten, und manche von denen sind noch dazu so ungewöhnlich, dass man auch noch über sich selbst erschrickt. 

Mitten in der Trauer erinnert man sich etwa an den unangenehmen Geruch des anderen, den man beim gemeinsamen Schlafen im Ehebett immer gehasst hat. Oder auch an Momente der Lust, die hier nun ja wirklich keinen Platz haben.

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Und ja, Trauer ist auch freudenbesetzt, im moribunden Österreich erfreut man sich an der „schenen Leich’“, anderswo, und um das alles dreht sich die Festwochen-Produktion „The Grief Of Red Granny“, wird Aug’ in Aug’ mit dem Toten das Leben mit Musik und Tanz gefeiert.

Im Odeon schließt sich der menschheitsgeschichtliche Kreis: In einem Garten Eden wird nicht, wie einst, der Beginn der Menschwerdung gefeiert, sondern Trauer begangen. Aus dem Ehebett stemmt sich ein Baum nach oben, von dem am Schluss Äpfel fallen. Aus der Mitte der Bühne entspringt ein Flüsschen, am Schluss werden Blumen in einer Toilette arrangiert: Es erblüht aus der Trauer, der Verwesung und dem Tod das Neue.

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Rote Engel

Zentrale Figur ist eine trauerende Frau, die die vielen Facetten dessen, womit man als Hinterbliebene umgehen lernen muss, durcharbeitet. Es gibt, so liest man, allerlei Konnexe beim mehrsprachigen Monolog von Tine Joustra, die Trauer einer Königin, die Trauer des Regisseurs, Gorges Ocloo, um seine Großmutter. Es lässt sich das Gesagte aber auch wunderbar als allgemeingültige Abhandlung über die Haltlosigkeit im Verlust aufnehmen.

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Nach dem Begräbnis, sagt Joustra einmal, sei sie extra einen Riesenumweg gefahren, um dem Tod nicht ihre Adresse zu verraten.

Vielleicht, sagt sie später, ist es genau das, was das Menschsein ausmacht: Dass man glaubt, den Tod austricksen zu können, mit Schmäh, Täuschungen, dem Erstellen von Lebensplänen und mit dem Abschluss von Versicherungen. Kann man natürlich nicht, und daher ist der Tod eines der vorherrschenden Themen der Kultur.

Umgeben wird Joustra nun von sechs rotgewandeten Engeln, die das Gesagte in eine durchaus ambitionierte Neuinterpretation des „Stabat Mater“ kleiden; es ist Pergolesis berühmtes Sakralwerk mit Band (E-Gitarre, Cello, Drums) und drei Opernstimmen zu hören, mal mit Bossa-Nova-Rhythmen, mal als Reggae-Offbeat, oftmals als Rock. 

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Erstaunlicherweise funktioniert das phänomenal, insbesondere Ntuthuko Ziqubu fasziniert mit seinem erfreulichen Bassgesang und dem Nachtanzen afrikanischer Bestattungsgrituale, auf denen die Choreografie der Musiker beruht. Am Ende der musikalischen Installation ist die Trauer nicht überwunden, aber das Leben wieder präsent, und es gab daher viel Applaus.

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