„Was ist ein Schwarzer für einen Schwarzen, der nichts sieht?“, fragt sich die Figur auf der Bühne. Sie ist eine Art Wiedergänger von Thomas Wiggins, jenes in die Sklaverei geborenen, autistischen Mannes, der im 19. Jahrhundert als „Blind Tom“ auf Konzertbühnen in den USA und Europa herumgereicht wurde. Er galt damals als musikalisches Genie, aber auch als Kuriosum und „Idiot“, jedenfalls eher nicht als vollwertiger Mensch.
Das Stück „Song of The Shank“, das am Dienstag bei den Wiener Festwochen Welturaufführung feierte, lässt „Blind Tom“ in einer heutigen Form wiederauferstehen.
Interessant ist dabei der Versuch, so etwas wie eine Innenperspektive der Person herzustellen, die zeitlebens primär durch marktschreierische Ankündigungen erfasst wurde. In der Inszenierung von Stan Douglas erzählen davon Text-Projektionen in zeittypischer Schrift.
„Blind Tom“ war noch Sklave, als er 1860 – als erster Afroamerikaner überhaupt – im Weißen Haus auftrat. Doch das Stück wirft auch abseits der historischen Erzählung Fragen auf: Wie lebt und handelt eine Person, die die Welt über Klänge erfährt? Ist es jenen, die sehen, überhaupt möglich, beim Hören von Musik oder Geräuschen keine Bilder im Kopf zu haben?
In der Halle G des MuseumsQuartiers findet man dazu eine Inszenierung vor, die zunächst eher wie eine Versuchsanordnung anmutet.
Tom – verkörpert von Gwendolyn Brown mit dramatischer Altstimme – steht neben Hermann Kretzschmar am Klavier auf einer Projektionsfläche, daneben setzt das „Ensemble Modern“ die von George Lewis komponierte Musik um: Harte Dissonanzen, anschwellende Sequenzen, nichts Liebliches. Mimetische Anklänge an Metall oder Wasser vermeint man auszumachen. Die von „Blind Tom“ hinterlassene Musik – überliefert sind etwa seine Nachempfindung einer Nähmaschine oder des „Battle of Manassas“, einer Schlacht im amerikanischen Bürgerkrieg – wird nicht zitiert.
Wieherndes Licht
Im Libretto zu „Song of the Shank“ (dt. etwa: „Lied des Messers“), das Jeffrey Renard Allen auf Basis seines gleichnamigen Romans schrieb, fallen dagegen Begriffe, die Bildhaftes und Gehörtes vielsagend kombinieren: „Wieherndes Licht“ etwa. Oder „jubilierende Wellen“.
Die Umsetzung am Bühnenboden geschieht durch so genannte Chladni-Klangfiguren – akustisch hergeleitete Muster, die auf die Musik reagieren. Sie nageln die auch in der Stimmführung wenig bewegte Gwendolyn Brown aber in der Bühnenmitte fest.
Dennoch bewegt sich das eher statische Vehikel mit der Zeit, entfaltet Sogwirkung und führt zu einem Punkt, der Befreiung und die eigene Handlungsmacht feiert. Eine leicht konsumierbare Darstellung der faszinierenden Story von „Blind Tom“ sieht freilich anders aus.
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