Was ist zu Ende gegangen?
Wir sind an einem Punkt der Sehnsucht. Und merken, dass wir viele Dinge erst wertschätzen können, wenn wir sie verloren haben. Das gilt auch für Menschen. Es hat sich das Zusammengehörigkeitsgefühl aufgelöst. Und, das klingt sehr banal, aber: Wir wissen von vielem den Preis, aber kennen nicht mehr den Wert. Es geht den ganzen Abend eigentlich ums Abschiednehmen. Das ist wahnsinnig heutig. Und sehr traurig! Das ist überhaupt keine lustige Operette, sondern sehr melancholisch. Natürlich wird es dazwischen auch heiter, jedoch ohne Schenkelklopfer.
Welche Rolle spielt dabei die Musik?
Ich habe immer das Gefühl, die Musik setzt ein, wenn das Wort aufhört. Wenn der Schmerz nicht mehr zu ertragen ist. Das ist wie eine Übersprungshandlung, weil wir es nicht mehr anders ertragen. Das ist dieser berühmte Tanz auf dem Vulkan, den wir jetzt auch erleben, wo wir nicht mehr wissen, was morgen ist. Wir versuchen, uns an Dingen festzuhalten, aber es gibt nichts, an dem man sich festhalten kann. Das Aggressionspotenzial steigt, die Frustrationstoleranz sinkt. Und wir sind da genau mittendrin.
Dieses Lächeln mit zusammengebissenen Zähnen, das der Operette innewohnt, wurde beiseitegeschoben für eine Nachkriegs-50er-Jahre-Heiterkeit, die das Bild des Genres bis heute verstellt.
Diese 50er-Jahre haben tatsächlich ein Problem erst generiert, weil das so merkwürdig an der Oberfläche geblieben ist. Aber das ist Operette ja nicht! Ich habe nicht das Gefühl, man muss die Operette retten. Wir machen hier nicht Notaufnahme, als würden wir hier in Wiederbelebung gehen. Das hat schon immer gelebt und wird auch weiterleben. Ja, man darf in solchen Zeiten auch Feste feiern. Und ja, man darf so etwas auch im Dreivierteltakt erzählen. Dieses Bittersüße ist genau richtig für unsere Zeit.
Eine Schwierigkeit scheint mir, dass man ja weiß, dass es gut ausgeht. Man erlebt das quasi von hinten.
Ja, das ist auch falsch, das von vornherein mitzuspielen. Das muss eine Echtheit bekommen. Hier wird ein Drama gezeigt, das muss man im Moment erzählen. Das Stück wurde vor dem Ersten Weltkrieg begonnen – und im Krieg danach vollendet. Wir leben auch im ersten Akt und wir wissen nicht, wie der zweite Akt weitergeht. Und wir wissen auch nicht, ob es überhaupt noch einen dritten Akt gibt.
Sie stellen eine rhetorische Frage – ob es Theater noch braucht, wenn die Welt rundherum zusammenbricht. Die eingelernte Antwort wäre: Ja, dann besonders.
Wir brauchen Theater. Es ist Balsam für die Seele. Nicht, weil man weltvergessen ist. Sondern weil wir anhand von einem anderen Schmerz unserem eigenen näherkommen. Das Wunder des Theaters ist, dass wir Zeit zum Stillstand bringen können. Im Wunder dieses Jetzt sind wir unantastbar. Angst hat immer nur im Verhältnis zur Vergangenheit oder zur Zukunft Gültigkeit. Es ist wichtig, in dieser wahnsinnig schnellen Welt ein Kontrapunkt zu sein, wo Dinge in Frage gestellt werden können, Raum bekommen können. Wo man Zustände genießen kann.
Operette einfach zu genießen, fällt dem heutigen Menschen aber dennoch schwer.
Es geht mir nicht darum, Operette neu zu erfinden. Es geht darum, das zu respektieren, wie es war – und es mit eigenen Erfahrungen weiterzubringen. In der Erinnerung – ein großes Thema in diesem Stück! – deformieren wir die Dinge. Manches wird größer, manches fällt weg. Wir erzählen sehr subjektive Wahrnehmungen des Abends – aber nicht meine, sondern jene der Personen im Stück. Man darf Naturalismus machen, kein Problem. Aber Musiktheater ist doch ohnehin schon surreal! Surrealität erzählt glaube ich mehr über unseren Daseinszustand.
Kommentare