Wie klingt eine Stadt?

Rauchen und rumhängen als Hobby: Marco Michael Wanda und seine Band stehen für eine für Wien typische „rotznäsige Unbekümmertheit“.
Pop-Buch: Warum Wanda nur aus Wien kommen können und der Klang anderer Metropolen.

Philipp Krohn und Ole Löding gehen in ihrem Buch "Sound of the Cities"der Verbindung von Stadt und Popmusik auf den Grund: Die deutschen Autoren haben Mitglieder von Bands ebenso befragt wie einflussreiche Produzenten und Plattenladenbesitzer.

KURIER: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein Buch über den Sound von Städten zu schreiben?
Philipp Krohn: Ole und ich sind Musikfans und Plattensammler seit unserer Jugend. Eines Tages haben wir festgestellt, dass uns Musik aus bestimmten Städten besonders beeindruckt. Mich hat vor allem Musik fasziniert, die aus New Orleans kommt.

Ole Löding: Bei mir waren das Hamburg und die Hamburger Schule, Wien oder die melancholische Stockholmer Songwriter-Musik.

Was ist wichtig, um eine interessante Popstadt zu sein?
Ole Löding: Inspirierende Städte haben die größten Chancen, interessante Musik hervorzubringen. Wichtig ist eine ausgewogene Mischung aus Subkultur und Kulturindustrie: Gibt es gute und viele Clubs, Studios, Produzenten, Labels an einem Ort, regt das den kreativen Prozess an.

Was unterscheidet eine US-amerikanische Stadt von einer europäischen?
Philipp Krohn: Amerikanischen Städten merkt man an, dass Popkultur die dominierende Ausdrucksform ist. Pop ist Teil des kulturellen Erbes und überall spürbar. Zum anderen hat man den Eindruck, dass die Ethnien getrennter voneinander leben. Dadurch haben sich genuin schwarze und weiße Genres herausgebildet. Vergleicht man etwa New York oder Chicago und London, ist das einer der zentralen Unterschiede: In London ist seit jeher jedes Genre ein Crossover aus verschiedensten Einflüssen, in New York haben sich Hip-Hop und in Chicago House sehr eigenständig zunächst in den afroamerikanischen Communities entwickelt, bevor sie breiter wahrgenommen wurden.

Warum kann eine Band wie Wanda nur aus Wien kommen?
Ole Löding: Wien ist eine Stadt, die sich durch eine große Gelassenheit, gewisse Morbidität und den sprichwörtlichen Schmäh, der ja auch eine künstlerische Haltung ist, auszeichnet. Künstler stehen hier nicht sofort im internationalen Rampenlicht. Sie können frech aufspielen – und müssen nicht auf ihre kommerzielle Verwertbarkeit oder die internationale Anschlussfähigkeit achten. Das macht sie etwas freier. An Wanda beeindruckt uns diese rotznäsige Unbekümmertheit. Die Band interessiert es kaum, was die Welt von ihnen denkt.

Was ist das Spezielle an Wien?
Philipp Krohn: Wien hat vom Austropop über Falco bis zu den Elektronikern des "Sound of Vienna" und den aktuellen Indierockbands immer wieder faszinierende Musik hervorgebracht – oft mit ungewöhnlichen Texten oder Sounds. Dann aber gibt es wieder Phasen, in denen die Stadt zu schlafen scheint. Für Künstler ist es durchaus von Vorteil, wenn nicht alle drei Monate eine neue Sau durchs Dorf getrieben wird und ein neuer Trend verbrennt. Die Stadt ist selten Trendsetter. Aber mit einem "vampirischen Geist", wie Markus Spiegel (Musikproduzent, Anm. d. Red.) im Buch sagt. Wien saugt alles Interessante auf und macht es sich zu eigen.

Jede Stadt verkauft sich anders: Berlin gilt etwa als Hotspot der elektronischen Szene ...
Ole Löding:
Die Musiktradition zieht immer wieder Nachahmer an. In New York eifern junge Musiker Lou Reed oder Patti Smith nach, in Manchester orientieren sich Künstler an Joy Division oder den Stone Roses, Berlin inspiriert junge Elektronik-Musiker mit seiner fast 50 Jahre alten Tradition in diesem Genre. Es ist nicht verkehrt, sich seiner eigenen Stärken bewusst zu sein. Denn daraus kann auch so etwas wie ein eigenständiges Pop-Selbstbewusstsein entstehen.

Sie bezeichnen Austin in Texas als einer der aktuell spannendsten Städte in Sachen Popkultur. Was macht Austin so spannend?
Philipp Krohn: Die Vielfalt. Die Stadt bezeichnet sich selbst als "Livemusik-Hauptstadt der Welt". Es gibt mehr als 200 Clubs, in denen Bands aller Genres auf hohem Niveau auftreten. Die Bevölkerung ist sehr aufgeschlossen und definiert sich über ihre Zuneigung zur Musik. Reist man nach Austin, springt dieser Funke schnell über. Einige Interviewpartner sagten: "Jeder Texaner, der ein wenig freakig ist, zieht nach Austin." Dadurch leben dort viele interessante Leute mit tollen Ideen. Und die Bands sind unprätentiös und uneitel – ob es jetzt Indierock von Spoon oder …And you will know us by the Trail of Dead ist, Folk von Okkervil River, Jazzpop von Iron & Wine oder Experimentelles von Explosions in the Sky.

Wie wichtig sind die verschiedenen ethnischen Einflüsse für die Entwicklung des Sounds einer Stadt?
Ole Löding: Diversität hat generell sehr positive Wirkungen. Zum Beispiel wenn Kunstakademien auf radikale Jugendliche treffen wie im Düsseldorf der späten Siebzigerjahre. Genau so ist es mit den Ethnien: Wenn sich in Memphis Country, Gospel, Blues und Folk treffen und daraus Rock’n’Roll und der Soul des Stax-Labels entstehen, entfaltet das eine enorme Sprengkraft. Wenn in Bristol weiße Künstler Reggae-Bässe hören und mit Punk verbinden und dann schwarze DJs ihre Hip-Hop-Platten dazumischen, kann so etwas wie Trip-Hop entstehen. Heterogenität führt oft zu spannendem neuen Pop.

Infos: Philipp Krohn und Ole Löding: „Sound of the Cities“ Rogner & Bernhard. 415 Seiten. 22,95 Euro.

Wie klingt eine Stadt?
Rogner & Bernhard, Verlag, Sound of the cities, Buch, Cover, Honorarfrei.

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