Doch dann erfuhr er, dass einer der Peiniger gestorben ist. Dies sei wie ein Befreiungsschlag gewesen: Der ehemalige Sängerknabe wandte sich an die Opferschutzkommission, die 2010, nach Bekanntwerden weiterer Missbrauchsfälle in der Kirche, ins Leben gerufen worden war. Konkret an Brigitte Bierlein, da die damalige Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs die alphabetische Liste anführte.
Bierlein antwortete unverzüglich. Was Haslinger in der Folge erlebte, war jedoch kafkaesk: Auch Ex-Landeshauptfrau Waltraud Klasnic als Leiterin der Opferschutzanwaltschaft hörte sich die Missbrauchsgeschichte mit großem Interesse an, machte sich aber keinerlei Notizen.
Erst der dritte Gesprächspartner (von der Ombudsstelle der Erzdiözese Wien) fertigte „tatsächlich so etwas wie ein Protokoll“ an. Aber er bat Haslinger, seine Ausführungen schriftlich zusammenzufassen. Er könne das ja viel besser. Dem Autor wurde bewusst, auch bei seiner dritten Darlegung der Übergriffe gescheitert zu sein. Er musste tun, was er von Anfang an hätte tun können: Er schrieb ein Buch mit dem Titel „Mein Fall“. Es erschien 2020.
Nun wurde diese Entstehungsgeschichte dramatisiert – im Werk X Meidling: Ali M. Abdullah und Hannah Lioba Egenolf arbeiten das Groteske heraus, indem sie die nüchternen Passagen des Haslinger-Berichts mit decouvrierenden, absurd-komischen Spielszenen kontrastieren.
Bestritten wird die Uraufführung von einem Männerensemble (Sebastian Klein, Tobias Ofenbauer, Peter Pertusini, Sebastian Thiers) in Freizeitkleidung. Abwechselnd schlüpft man in die Rolle des Erzählers, meist ist es Dennis Cubic mit einer typischen Haslinger-Brille auf der Nase. Eine dunkle Perücke reicht, um Bierlein zu sein, und eine blonde steht für Klasnic.
Unterstützt von Multiinstrumentalist Andreas Dauböck (mit jazzigen Kompositionen und traurigen Liedern) präsentiert man zudem viele Fakten zum Umgang der Kirche mit den Missbrauchsfällen. Im Programmheft stellt Haslinger fest, dass die „Klasnic-Kommission“ in gewisser Weise nur eine „moralische Reinwaschanstalt“ sei. Denn die Täter werden nicht zur Rechenschaft gezogen. Ein dichter, klarer, ernüchternder Abend.THOMAS TRENKLER
Kommentare