Es ist eine wiederkehrende und dieser Tage wieder hochaktuelle Frage: Was tut die Kunst, wenn in der Welt Bomben fliegen und die Voraussetzungen für ein gutes Leben implodieren? Lässt sich dann noch einfach ein Bild malen, ein abstraktes noch dazu?
Das Werk des US-Amerikaners Robert Motherwell (1915–1991), das im Bank Austria Kunstforum bis zum 14. Jänner 2024 unter dem Titel „Pure Painting“ („Reine Malerei“) präsentiert wird, mag vor einem Diskurs, der Kunst gerade wieder stark im Dienst einer Sache verortet und eher nicht als autonomen Kosmos betrachtet, aus der Zeit gefallen wirken.
Doch erscheinen die großen Leinwände, die mit wenigen Ausnahmen als Leihgaben US-amerikanischer Privat- und Museumssammlungen nach Wien kommen, nicht nur wegen ihrer malerischen Raffinesse, ihrer Lebhaftigkeit und Dynamik äußerst zeitgemäß und akut: Sie führen auch vor, dass die Frage nach dem Realitätsbezug und der angemessenen Umlaufbahn der Kunst um das Weltgeschehen immer schon vorhanden und nie einfach zu beantworten war.
Bürgerkrieg
Es waren konkrete Ereignisse, die den hoch gebildeten und erst relativ spät zur Malerei gelangten Motherwell zu seiner charakteristischen Formensprache führten: Insbesondere der Spanische Bürgerkrieg 1936–’39 sowie die während der Revolution in Mexiko 1910 verübten Gräueltaten prägten den Künstler nachhaltig.
Anders als Picasso, der bereits 1937 sein epochales Antikriegsbild „Guernica“ gemalt hatte, brauchte es bei Motherwell aber länger, bis er die Form für seine Reaktion gefunden hatte: 1948 begann er mit der Serie „Elegy to the Spanish Republic“ („Trauergesang auf die Spanische Republik“), zu der er bis zu seinem Tod immer wieder zurückkehrte.
Die Gemälde – dominiert durch eine Abfolge schwarzer Ovale und Balken, sofort wiedererkennbar und doch nie gleich – bilden nun auch das Gravitationszentrum im größten Saal der Wiener Schau. Die Serie verfolge das Ziel, „mittels reiner Abstraktion ein Gefühl der Trauer“ hervorzurufen, heißt es im Katalog: Tatsächlich strahlen die Formen eine Schwere aus, wirken wie Monumente – wofür, bleibt offen.
Formfindung
Zuvor – die Ausstellung ist im Wesentlichen chronologisch aufgebaut – lässt sich erahnen, wie der Künstler, der beim Kunsthistoriker Meyer Schapiro studiert und durch ihn mit vielen exilierten Künstlern aus Europa in Kontakt geraten war, seinen eigenen Zugang zur Moderne gesucht und gefunden hatte.
Schon in an Piet Mondrian angelehnten Streifenbildern klingt aber Realitätsbezug an, sie heißen „Spanish Prison“ oder „Spanish Picture With Window“. Die Grenzen von Anspielungen auf Bürgerkrieg und Repression zu generellen Fragen der Kunsttheorie (Ist ein Bild ein Fenster oder ein Spiegel?) verläuft fließend. „Weil Motherwell universelle Themen wählte, ist er heute relevanter als viele seiner Zeitgenossen“, sagt die Kuratorin Susan Davidson, die gemeinsam mit Evelyn Benesch vom Kunstforum für die Schau verantwortlich zeichnet.
Motherwell war ein Tüftler, der seine Bilder oft und teils noch Jahre nach der ersten Ausstellung überarbeitete. Er war auch ein waschechter Intellektueller: Er publizierte viel und suchte die Abstraktion US-amerikanischer Prägung von anderen Strömungen abzugrenzen.
Zudem zurrte er sein Werk in einem Netz an literarischen Bezügen fest: James Joyces rätselhafter Roman „Ulysses“ war sein lebenslanger Begleiter, wohl wegen seiner unabgeschlossenen Struktur, wie Davidson sagt. Die Abstraktion in der Malerei verglich Motherwell mit symbolistischer Poesie aus dem 19. Jahrhundert: Für ihn war beides „Kunst, die es ablehnt, alles auszubuchstabieren. Es ist eine Art Kurzschrift, in der sehr viel einfach nur angenommen wird.“
Ist es schwer, zu dieser Malerei ohne prall gefüllten Bildungsrucksack Zugang zu finden? Dagegen spricht die wortlose Macht der Bilder: Die Dynamik der Formen, die Vielfalt der Farben und ihrer Beschaffenheit – zählen Sie in der Ausstellung einmal die Schwarztöne! – zeigt zunächst, wie der Künstler die Dimensionen der „reinen Malerei“ zu nutzen wusste.
Einige Werke nannte Motherwell „Nachbilder“, um zu verdeutlichen, dass sie in Konversation mit früherer Kunst, von Höhlenmalerei bis zu Henri Matisse, entstanden. Man muss nicht jeden Bezug nachvollziehen, um die Tiefe dieser Auseinandersetzung zu schätzen. Gerade dort, wo das Ausbuchstabierte an seine Grenzen gerät, zeigt das Abstrakte noch immer Wege auf.
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