Tanzend im Wechselbad der Gefühle: Sharon Eyals neue Produktion auf Tour

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Ästhetisch faszinierend, inhaltlich berührend: Die Produktion „Delay the Sadness“ gastiert am 8. 11. in St. Pölten. Ein Vorabbesuch.

Stippvisite in Südfrankreich, Montpellier: Théâtre Jean-Claude Carrière. Outdoors Pinienduft. Indoors Emotionen, die bloßgelegt werden. Vier Frauen und vier Männer mit gegelten Haaren und rosa geschminkten Wangen biegen ihre Körper in beige-farbenen Trikots in Zeitlupe ins Extreme, ins fast Groteske, zucken oder verschmelzen miteinander, um „Gefühle auszudrücken, die nicht in Worte gefasst werden können“.

Viel Raum für Duette

„Delay the Sadness“ erzählt vom Kommen und Gehen, von Trauer und Verlust, von Schmerz und Erinnerung. Das neue Stück hat Sharon Eyal ihrer vor zwei Jahren verstorbenen Mutter gewidmet. Es bezieht sich auf ein hebräisches Lied, das sie gern gehört habe.

Emotionen sind die Quintessenz beim für die israelische Künstlerin charakteristischen modernen, oft minimalistischen Tanzstil. Der ist stark von ihrer Zeit mit der Batsheva Dance Company von Ohad Naharin geprägt: Vor allem von deren Bewegungssprache „Gaga“, bei der es vor allem ums Spüren, um Körperwahrnehmung und Selbsterfahrung geht, um die rohe Energie der Club- und Rave-Kultur, kombiniert mit eindringlicher Körperarbeit.

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Nah am klassischen Tanz

Aber statt Techno-Bilderrausch und kühler Präzision gibt es bei der Kompanie S-E-D Dance diesmal Pas de Deux, zärtliche, fließende oder kämpferische Bewegungen vor schwarzer Bühne. Dazu am Anfang einen Walzer mit hämmernden Beats.

Paare finden zueinander. Ihre Drehungen, ihre Sprünge wirken fast klassisch, „lassen Ballett-Reminiszenzen an Balanchine und Nijinsky kurz aufscheinen“, schrieb nach der Uraufführung bei der Ruhrtriennale im September Die deutsche Bühne. Dann verfallen die Tänzer im Gleichklang wieder ins für Eyal typische Trippeln auf Zehenspitzen, das den Körpern etwas Maschinenhaftes verleiht.

„Ich tue, was ich liebe, und für mich ist es, als würde ich mir einen Traum machen. Ich träume, und dann veröffentliche ich es“, sagte Eyal in einem The Talks-Interview.

Sie glaubt „an die Geschichte, die aus dem Inneren des Körpers kommt.“ Man müsse sie nur erspüren und dann tanzend freilegen. Und das Publikum projiziert seine eigene Interpretation darauf. Das Berliner Staatsballett lobt Eyals „vibrierende Experimente an der Grenze zwischen Präzision und vermeintlichem Exzess“.

Der US-amerikanische Tänzer und Choreograf William Forsythe nennt sie eine „kompromisslose Erneuerin des Balletts“.

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Für sie dreht sich alles um das Gesamterlebnis: „Jedes Element – die Bewegung, die Komposition, die Musik, die Beleuchtung, die Kostüme, sogar die Atmosphäre – alles ist Teil eines Gesamtgefühls.“

Ihre Arbeiten haben eine kühle Ästhetik, Eleganz und immer Power, die mitzieht.

Worum es ihr geht? „Bis ins Extreme zu gehen, aus dem tiefen Inneren heraus, nah am Herzen, im Gewirbel der Gefühle. Alles aus sich rausholen.“

Die 54-Jährige, „eine der faszinierendsten und originellsten Choreografinnen unserer Zeit“ (Guardian), kreiert „nicht für andere. Ich mache Shows, weil ich nicht anders leben kann. Es ist ein täglicher Prozess, der niemals unter Ergebnisdruck steht. Ich lebe mit meinen Kreationen, sie sind ein untrennbarer Teil meines Organismus.“

Einladung in ein Universum

In ihrer Welt ist der Tanz mehr als nur Bewegung. Tanz ist das Leben selbst und eine Einladung in ihr Universum, in dem Musik, Emotionen, Atmosphäre, Licht und Körper zu einem faszinierenden Mix verschmelzen. Während sie weiterhin erforscht, was Tanz sein kann.

„Ich bin ständig auf der Erkundungstour“, so Eyal über ihre Arbeit.

„Würde ich das alles verstehen, müsste ich vielleicht aufhören zu kreieren. Es geht um Wachstum, Lernen und das Teilen dessen, was ich liebe – Tanz, Bewegung, Musik, Schönheit. Es geht darum, eine offene Quelle von Gefühlen zu schaffen und anderen zu erlauben, daran teilzuhaben.“

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