KURIER: Sie haben die Geschichte als Tagebuch angelegt. Konnten Sie damit die Krisen-Situation besser verarbeiten?
Dirk von Lowtzow: Vornehmlich ging es mir um ein Ordnungsprinzip und um eine tägliche Übung. In diesen täglichen Übungen, oder Exerzitien, liegt natürlich auch ein gewisser Trost und sie haben bisweilen eine angstlösende Wirkung.
Hatten die Lockdowns im Nachhinein betrachtet etwas Positives?
Es hat mich damals gewundert und wundert mich immer noch, wie oft im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie von den schlimmen „Lockdowns“ und den „Maßnahmen“ gesprochen wurde (und bis heute wird), auch in der lästigen Debattenform, wie selten hingegen der doch beträchtlichen Anzahl von Toten gedacht wurde und wird. Hier scheint mir doch eine ziemliche Verdrängung vorzuliegen und ein Mangel an Demut und Mitgefühl.
Was können bzw. sollten wir aus dieser Pandemie lernen?
Solidarität.
Bei vielen hat die Pandemie diverse seelische, körperliche oder geistige Problemzonen offengelegt. Was kam denn bei Ihnen zum Vorschein?
Ich bilde mir ein, dass sich meine Rückenschmerzen in der Pandemie noch verstärkt haben. Andererseits hatte ich vielleicht auch mehr Zeit, manisch auf meine körperlichen Zipperlein zu achten und beständig in mich hineinzuhorchen.
Was war während der Lockdowns ihre größte Angst?
Ich hatte vornehmlich Angst um die Gesundheit meiner Eltern und Nichten, Neffen und einiger anderer vulnerablen Personen in meinem Freundeskreis, nicht so sehr um mich. Wie viele Menschen, die in ihrem normalen Alltag ohnehin oft mit sogenannten frei flottierenden Ängsten konfrontiert sind, konnte ich die konkrete Angst vor dem Virus erstaunlich gut verarbeiten. Jetzt ist zwar die Pandemie vorbei, oder nicht mehr relevant, dafür herrscht in Europa Krieg.
Wie gehen Sie damit um?
Von Tag zu Tag ein bisschen unsicherer und ratloser.
Sie haben mit ihrer Band Tocotronic einen Monat vor dem russischen Angriffskrieg das Album „Nie wieder Krieg“ veröffentlicht. In den Songs schwingt eine krankhafte Zerrissenheit mit. Ist der Frieden in Europa durch eine mögliche Spaltung bedroht?
Wir hatten in den Interviews zum Album, die wir im November und Dezember 2021 geführt hatten, oft davon gesprochen, dass wir uns möglicherweise in vorkriegsartigen Zeiten befänden, und dabei den deutschen Literaturwissenschaftler Joseph Vogl zitiert. So wie er hatten wir diese Aussage aber eher auf die allgemeine Ökonomisierung und Monetarisierung von Ressentiments bezogen, nicht so sehr auf den bevorstehenden mörderischen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine. Erschreckend zu sehen, wie sehr die Realität das eigene Raunen einholen kann.
Was fällt Ihnen spontan zu Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer ein? Können Sie deren „Friedensbewegung“ etwas abgewinnen?
Nichts und Nein.
Sie haben sich in einem Podcast als leidenschaftlicher Hobby-Pharmazeut geoutet. Was empfehlen Sie für mehr Heiterkeit und Hoffnung?
Nikotin.
„Ich tauche auf“ ist auch der Titel eines Songs, den Sie gemeinsam mit der Wiener Sängerin Anja Plaschg (alias Soap&Skin) aufgenommen haben. Der Text ist als Außenstehender schwer zu interpretieren. Um was geht es?
Meine Freundin Sophie Hunger hat mir einmal gesagt, Bob Dylan habe einmal gesagt, man solle niemals als Musiker*in die eigenen Songs interpretieren. Wer bin ich, der ich es wagen würde, ihr und einem Nobelpreisträger zu widersprechen?
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