Eine bizarre Reise über die Schreyvogelgasse durch die Nacht
Ziemlich unebenes Terrain. Aber immer: „Es ist doch alles gut.“
Erstaunlich, wie sich die Zeiten ändern: Im Volkstheater wird bereits mehr Schnitzler gespielt als in der Josefstadt. Auf „Fräulein Else“ mit Julia Riedler, als beste Schauspielerin für einen Nestroy nominiert, folgte nun, am Freitag, die „Traumnovelle“. Eine Dramatisierung im engen Sinn gibt es aber nicht: Johanna Wehner inszenierte eine über weite Strecken hinreißende Sprechoper mit überraschend humoristischen Facetten. So hat man Arthur Schnitzler wohl noch nie in Wien gehört.
Es erstaunt zudem, dass die deutsche Regisseurin die Handlung nicht in der Gegenwart verortet – wie Stanley Kubrick, der die „Traumnovelle“ in seinem letzten Film (1999 fertiggestellt) nach New York verlegt hat. Nein, die im Text erwähnte Schreyvogelgasse wird geradezu mit Genuss zelebriert. Und wir befinden uns, wie Ellen Hofmann mit ihren stilisierten Kostümen (in Schwarzweiß) und den ondulierten Frisuren deutlich macht, in den 1920-er Jahren, also in der Entstehungszeit der Novelle. Eine Nähe zu Kubrick, der seine Verfilmung „Eyes Wide Shut“ nannte, gibt es aber doch. Denn auch bei Wehner geht es zentral um das Schließen der Augen – wie um den Blick in ungeahnte Abgründe.
Der Eindreiviertelstunden lange, kurzweilige Abend beginnt bereits mit dem Schauen – noch bevor das letzte Klingelzeichen ertönt ist: Die sieben Personen auf der Bühne blicken um sich, nehmen mit den Zuschauern Kontakt auf. Und übergangslos befindet man sich in der Novelle: Aus dem Ensemble schälen sich Nicolas Frederick Djuren als Fridolin und Anna Rieser als Albertine heraus.
Zunächst scheitern die Versuche, die sechsjährige Tochter zum Einschlafen zu bringen. Sind die Augen zu? Nein! Aber jetzt! Und dann folgt die erotisch aufgeladene Reise durch die Nacht: Albertine träumt, ihr Mann hingegen macht sich auf den Weg und findet nur schwer zurück in die gesicherte Welt.
Unbeholfener Clown
Djuren stolpert herum: nicht wie ein respektabler Arzt, sondern zumeist unbeholfen wie ein Clown. Wie uneben das Terrain ist, verdeutlichen Benjamin Schönecker und Jan-Christoph Schnase mit ihrer welligen, nach hinten hin ansteigenden Bühne.
Längst hat Sängerin Vera Mohrs ganz oben am Bösendorfer Platz genommen: Zusammen mit dem Kontrabassisten Stephan Goldbach ergänzt sie das Geschehen, die Einschlafszene mit „Guten Abend, gute Nacht“ – und schon wechselt sie mit sanfter Stimme zu ihrem Gehirnwäsche-Mantra, das sich variantenreich wiederholt: „Es ist doch alles gut.“ Die anderen drei fungieren als Erzähler und Kommentatoren (mitunter amüsant lautmalerisch), als Teufelchen oder Gewissen. Ganz besonders vermag Christian Ehrich zu glänzen – als Studienfreund Nachtigall. Wenn dann von der geheimen Veranstaltung die Rede ist, zu der Fridolin unbedingt will, funkeln bei Katharina Pichler die Augen.
Und im Endeffekt begegnet Djuren immer nur Rieser. So geht der Abend doch noch gut aus. Oder etwa nicht?
KURIER-Wertung: 4,5 von 5 Sternen
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