"Der Theatermacher" in der Josefstadt: Der Despot als Idiot mit Haarnetz

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Selbstkritischer Abgesang: Red-Bull-Mitarbeiter Matthias Hartmann inszenierte Thomas Bernhard – mit Herbert Föttinger als ungutem Bruscon.

Wirklich prickelnd war die Höllenfahrt 2021 nicht gewesen. Denn man sah von Anbeginn, dass die Betongarage, in der Kay Voges „Der Theatermacher“ von Thomas Bernhard gleich mehrfach dekonstruierte, neun Geschosse hat. Nach der x-ten Variante ersehnte man die finale Finsternis.

Und doch muss man dem gescheiterten Volkstheaterdirektor, nun in Köln tätig, seit Donnerstagabend Abbitte leisten: Seine Dortmunder Produktion, die er nach Wien mitgebracht hatte, war zumindest ein zeitgenössischer Zugriff, gespickt mit Gags und Ideen. Denn Matthias Hartmann, der 2014 gescheiterte Burgtheaterdirektor, lieferte in der Josefstadt eine vergleichsweise saftlose Inszenierung ab. Sie stellt andauernd die Frage: Warum spielen wir überhaupt den „Theatermacher“? Nur wegen Bernhards Tiraden über Verlogenheit und Niedertracht?

Die Antwort lautet simpel: Damit Herbert Föttinger, der scheidende Direktor, noch einmal in einer Wahnsinnsrolle glänzen kann. Der abgehalfterte „Staatsschauspieler“ Bruscon tingelt bekanntlich mit seiner Kernfamilie durch die oberösterreichische Provinz und macht nun in Utzbach Station.

Krankenkassabrille

Er betritt den Tanzsaal des Schwarzen Hirschen und ist erschüttert: Hier, „in dieser muffigen Atmosphäre“, solle er seine Weltkomödie „Das Rad der Geschichte“ zur Aufführung bringen? Diese Sätze ins Auditorium zu sprechen, versagt sich Föttinger, der die Josefstadt in den letzten zwei Jahrzehnten tatsächlich entstaubt hat: Er erklimmt von der ersten Sitzreihe aus die Bühne, also den feuchten, ramponierten Saal, den Volker Hintermeier mit Anspielungen auf das Setting der Uraufführung 1985 bei den Salzburger Festspielen (von Karl-Ernst Hermann) versehen hat. Und Föttinger, die Textmengen spielerisch bewältigend, grenzt sich dezidiert von Traugott Buhre ab, der in der Inszenierung, mit der Claus Peymann dann auch seine Ära als Burgtheaterdirektor begann, den Bruscon gegeben hatte: Er ist von der ersten Sekunde an ein jämmerliches Würschtl mit Krankenkassabrille, das bereits um drei Uhr Nachmittag das wenig schmeichelhafte Haarnetz trägt. Ach, wie eitel selbst in der Selbstdemontage: Seht, ich Narr mache mich zum Idioten!

Bruscon ist und bleibt aber ein Patriarch und widerlicher Mensch, der mit Perfidie schikaniert. Dass ein solcher Molière-Despot herumkommandieren, mit Gewalt wie verbaler Bösartigkeit seinen Willen durchsetzen kann, liegt auch daran, dass seine Umgebung jeden Widerstand aufgegeben hat.

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Martin Zauner bleibt gemütsruhig: Herbert Föttinger gefällt sich selbstkritisch als Theatermachernarr

Martin Zauner als Wirt pariert die Befehlsattacken mit seelenlosen Blicken wie grandioser Gemütsruhe; die beiden völlig verängstigten Kinder bleiben zumeist tonlos beim Protest und grunzen beim Grinsen: Oliver Rosskopf, mit Metallgestänge-Gipsarm fast noch mehr eingeschränkt als einst Martin Schwab, aber um nichts weniger artistisch, und Larissa Fuchs kommentieren ihre Verzweiflung mit vielsagendem Mienenspiel, das ob Föttingers Dauerpräsenz etwas ins Hintertreffen gerät.

Naturgemäß wird Frittatensuppe aufgetragen (mit echten Frittaten!), ein Fläschchen Maggi steht auf dem Tisch: „als ob die Zeit stehen geblieben wäre“, wie Bruscon gleich zu Beginn feststellt. Der zweieinhalbstündige Abend erweist sich tatsächlich als recht antiquierte Angelegenheit. Bezüge zur Gegenwart (oder zu Föttingers Führungsstil) unterlässt Hartmann.

Ausdruckstanz

Seine Inszenierung baut auf einem einzigen Einfall auf: Er machte, wie er im Programmheft erklärt, das rechte Viertel der Bühne „zu einem Abgrundraum für Bruscon“. In diesem tiefschwarzen Areal vollführt Silvia Meisterle von Anfang an und immer wieder wilden bis bizarren Ausdruckstanz. Dass es sich bei der völlig Entrückten mit den feuerroten Haaren um die verstummte Ehefrau von Bruscon handelt, die sich nur mit Körpersprache zu behelfen versteht, kapiert man zunächst nicht. Denn physisch taucht die geisterhafte Agathe erst sehr spät auf.

Nach der Pause bekommt die Modern-Dance-Darbietung zu äußerst schrillen Geigentönen – nun mit allen drangsalierten Familienmitgliedern – extrem viel Raum. Sonst wäre wohl die zweite Halbzeit zu kurz gewesen. Beifallfördernd ist dieser Füller aber kaum.

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