Vertriebene und ermordete Musiker: Volksoper arbeitet NS-Zeit auf

März 1938. Adolf Hitler bereitet den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich vor. Längst sind die Juden-Pogrome Teil des grauenhaften Alltags in Wien. An der Wiener Volksoper aber wird dennoch geprobt. Jara Beneš Operette „Gruß und Kuss aus der Wachau“ soll zur Aufführung kommen; man flieht in eine Art Eskapismus. Man probt und probt – bis sich die Realität nicht mehr verweigern lässt. . .
Und bis es heißt: „Ihre Dienste werden nicht mehr benötigt“; die „Säuberung“ hat begonnen. Das Buch „Ihre Dienste werden nicht mehr benötigt“ von Marie-Theres Arnbom war denn auch die Quelle für die Jubiläumsproduktion „Lass uns die Welt vergessen“, die am Donnerstag (125 Jahre nach der Eröffnung des damaligen Kaiserjubiläums-Stadttheater zum 50-jährigen Thronjubiläum von Kaiser Franz Josef) zur Uraufführung gebracht wird.
Das Haus
Die Volksoper wurde am 14. Dezember 1898 zum 50-jährigen Regierungsjubiläum von Kaiser Franz Joseph I. als Kaiserjubiläum-Stadttheater-Verein eröffnet. Der Kaiser blieb der Eröffnung allerdings fern. Erst ab 1903/’04 wurde hier auch Musiktheater gespielt
Das Werk
„Lass und die Welt vergessen“ ist ein Stück mit Musik von Theu Boermans und Keren Kagarlitsky. Regie, Text und Libretto stammen von Boermans, die Musik stammt (nebst Einschüben) von Dirigentin Keren Kagarlitsky. Premiere: 14. 12
Herzensangelegenheit
„Wir hätten auch eine Party machen können“, betont der kaufmännische Geschäftsführer des Hauses, Christoph Ladstätter, der elf Jahre an der Realisierung dieses Projekts mitgearbeitet hat. Ladstätter zum KURIER: „Wir wollten uns aber unserer Geschichte stellen. Das wollte schon der damalige Direktor Robert Meyer, und unsere jetzige Direktorin Lotte de Beer hat das begeistert übernommen und mitgetragen.“

Nachsatz: „Das ist sicher keine leichte Kost, denn hier geht es um Mitarbeiter, die vertrieben und ermordet wurden, aber auch um die Mitläufer und die Ja-Sager. Wir wollen uns die Frage stellen: ,Was hätten Sie damals gemacht?’“
Also wird „Gruß und Kuss aus der Wachau“ erstmals am Gürtel erklingen, in einer adaptierten Fassung. Denn vom Original gibt es nur einen (textlich sehr arisierten) Klavierauszug, den Dirigentin Keren Kagarlitsky mit eigener Musik bearbeitet und um die Kompositionen eines Gustav Mahler, Arnold Schönberg oder Gustav Mahler – also der in der NS-Zeit „verfemten“ Komponisten – ergänzt hat.
Herausforderung
Regie führt an der Volksoper ein Profi für Zeitgeschichte. Der Niederländer Theu Boermans, der das Libretto und somit das Stück geschrieben hat. Boermans hat nicht nur als Schauspieler (in jüngeren Jahren, wie er im Gespräch lachend anmerkt), sondern auch als Regisseur für Furore gesorgt. Sein Musical „Soldaat van Oranje“ behandelt die Kriegszeit in Holland und läuft seit 2010 mit großem Erfolg. „Das Stück ,Lass uns die Welt vergessen’ ist eine große Herausforderung“, so Boermans. Denn: „Ich wollte ja den damaligen Künstlerinnen und Künstlern gerecht werden und ein möglichst historisch getreues Abbild der Zeit geben. Aber ohne jede Wertung, ohne erhobenen Zeigefinger. Es geht ja immer noch um Operette, aber in einem anderen Kontext.“

Boermans weiter: „Das Buch von Marie-Theres Arnbom hat uns allen sehr geholfen, es war die Inspirationsquelle für das Werk. Denn es ist ja nicht so einfach, historische Personen auf die Bühne zu bringen.“ Denn diese „historischen Personen“ heißen unter anderem Hugo Wiener, Fritz Löhner-Beda, Kurt Herbert Adler oder Fritz Imhoff.
Ihre Schicksale sind bekannt. Die unbekannten Geschichten will „Lass uns die Welt vergessen“ aber auch miterzählen. „Es ist für unser Haus eine ganz wichtige Produktion, an der alle mitwirken“, sagt Christoph Ladstätter. „Wir haben vor dem Haus einen Gedenkstein aufgestellt, mit diesem Werk wollen wir dem Ensemble von einst auch eine Stimme geben.“
Doch wie viel „Gruß und Kuss aus der Wachau“ ist in dieser Uraufführung eigentlich noch drinnen? Boermans lacht: „Es ist ein Spiel im Spiel mit dem Spiel. Aber keine Angst. An manchen Stellen ,operettigt’ es ganz ordentlich.“
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