Das italienisch-österreichische Regie-Paar – Tizza Covi ist geborene Boznerin, Rainer Frimmel stammt aus Wien – hat sich in seinen Arbeiten vielfach mit Außenseitern an den Rändern der Gesellschaft beschäftigt, egal, ob es sich um Menschen aus der Welt des Zirkus oder um Bewohner der Vororte von Rom handelt. Auch ihr neuer Film „Vera“ erzählt von einer Außenseiterin, bekräftigt Tizza Covi im Gespräch mit dem KURIER: „Vera Gemma passt absolut in das Bild von Menschen, die abgeurteilt werden, bevor man sie noch richtig kennengelernt hat. Wie bei vielen unserer Protagonisten hat man anfänglich Vorurteile – und das ist etwas, woran wir uns abarbeiten.“
Wo Vera Gemma auftritt, zieht sie die Blicke auf sich. Ihr Gesicht und ihr Körper sind offensichtlich mehrfach operiert: Ihr Schönheitsideal wurde nach eigenen Aussagen von Transfrauen wie Eva Robin’s, einer Darstellerin in den Filmen von Horror-Veteran Dario Argento, geprägt; ihre Kleidung ist betont provokant, ein (schwarzer) Cowboy-Hut auf der weißblonden Haarmähne ihr Markenzeichen: „Sofort stellt sich das Vorurteil ein, dass sie oberflächlich und dumm ist, weil sie sich operieren hat lassen und sich sexy anzieht“, sagt Tizza Covi. Auch sie habe sich vom ersten Eindruck beeinflussen lassen, gibt sie zu: „Ich wollte mich anfänglich nicht einmal mit ihr unterhalten. Doch dann kam ich zufällig neben ihr zu sitzen und habe mich köstlich amüsiert. Nachher ärgerte ich mich über mich selbst: Dass ich nicht genau hingeschaut, sondern sie abgeurteilt habe.“
Der „Ärger über mich selbst“ wurde zum inneren Motor für diesen Film: „Ich besuchte Vera danach oft und begann, ein Drehbuch zu schreiben. Ich habe mich gefragt: Wer ist sie wirklich?“
Vera Gemma ist die Tochter des italienischen Filmstars und Westernhelden Giuliano Gemma und stand zeitlebens im Schatten ihres legendär gut aussehenden Vaters. Sie selbst arbeitete als Schauspielerin – etwa in Filmen von Dario Argento – und trat in Realityshows auf, blieb aber relativ erfolglos.
In „Vera“ spielt sie sich weitgehend selbst, durchleidet erbärmliche Casting-Situationen oder besucht mit Asia Argento das Grab von Goethes Sohn. Zudem hat Tizza Covi, inspiriert von Veras persönlichen Erfahrungen, eine zarte, fiktionale Geschichte mit deren Lebenswelt verwoben. Durch einen Autounfall lernt sie einen alleinerziehenden Vater und dessen Sohn kennen; die Begegnung führt Vera nach San Basilio, wo schon „La Pivellina“ gedreht wurde: „Das ist einer der kriminellsten Vororte Roms. Dort sind wir fast wie zu Hause.“
Tizza Covi und Rainer Frimmel arbeiten praktisch im Alleingang: Er hält die Kamera mit dem 16-mm-Film auf der Schulter, sie macht Ton und Schnitt. Gedreht wird, soweit wie möglich, im persönlichen Umfeld und den Wohnungen der Protagonisten, die durchwegs Laiendarsteller sind und unter ihrem eigenen Namen spielen: „Wir sind in unserem Herzen Dokumentaristen“, meint Rainer Frimmel: „Es ist für uns spannender, im vorgefundenen Ambiente zu drehen.“
Dass beispielsweise über Veras Bett das Porträt des verstorbenen Vaters wie ein drohendes Schwert hängt, haben sich die Filmemacher nicht ausgedacht: „Das ist wirklich so.“ Auch, dass es in San Basilio Wohnungen ohne fließendes Wasser gibt, entspricht den vorgefundenen Tatsachen und machte die Dreharbeiten für Tizza Covi und Rainer Frimmel erst so richtig spannend: „Die Wirklichkeit ist immer stärker als ein Drehbuch. Es wird durch die Realität noch einmal verschärft.“
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