Es funktionierte – und zwar prächtig. „Emilia Peréz“ nannte Jacques Audiard sein mitreißendes Musical (derzeit im Kino), in dem Karla Sofía Gascón die Titelrolle spielt und bei der Premiere auf dem Filmfestival in Cannes das Publikum begeisterte. Dort gewann sie als erste Transdarstellerin – gemeinsam mit ihren Schauspielkolleginnen Zoe Saldaña, Selena Gomez und Adriana Paz – die Auszeichnung als beste Schauspielerin. Gut möglich, dass sie auch eine Oscarnominierung erhält; auch hier würde sie als erste Transschauspielerin in dieser Kategorie Geschichte schreiben.
Karla Sofía Gascón ist 52. Geboren in Spanien und wohnhaft in Mexiko, war sie bis 2016 in männlichen Rollen zu sehen – vornehmlich in mexikanischen Krimiserien und Telenovelas. Danach gab sie bekannt, dass sie nun eine weibliche Identität habe – eine Entscheidung, für die sie viel (Online-)Hass einstecken musste. Sie war es auch, die aufgrund ihrer persönlichen Erfahrungen Jacques Audiard in allen Belangen zu Transfragen beraten konnte.
Die Schöne und das Biest
Es war nicht von Anfang an eine ausgemachte Sache, dass Gascón beide Rollen spielen würde – also sowohl den brutalen Kartellboss Manitas, als auch – nach einer geschlechtsangleichenden Operation – die geläuterte Emilia, die ihren Reichtum zu wohltätigen Zwecken verwendet.
„Ursprünglich wollte der Regisseur die Rollen von zwei unterschiedlichen Darstellern spielen lassen, um den Übergang drastischer und dramatischer zu gestalten“, erinnert sich Karla Sofía Gascón: „Er glaubte nicht daran, dass eine Person ,die Schöne und das Biest’ spielen konnte. Und das war auch wirklich sehr, sehr schwierig für mich.“
Tatsächlich musste Gascón zwei unterschiedliche Menschen – einen gewalttätigen Mann, eine liebenswürdige Frau – verkörpern, dabei aber auch herausarbeiten, was die beiden Figuren miteinander verbindet: „Jacques war sehr schwer davon zu überzeugen, dass ich beide Rollen spielen kann“, gibt die Schauspielerin zu, schaut verschmitzt und holt zu einer Anekdote aus: „Er hat mich und meine Kollegin Selena Gomez, die die Ehefrau von Manitas spielt, zu sich nach Hause eingeladen und mir plötzlich die Anweisung gegeben, Selena hochzuheben. Das habe ich auch getan. Selena lag also in meinen Armen, schaute mich verdutzt an und meinte: ,Was soll der Quatsch? Warum müssen wir das machen?’ Das habe ich Jacques dann auch gefragt, und der meinte nur: ,Ich wollte sehen, wie es aussieht, wenn du sie als ihr Ehemann über die Schwelle trägst.’“
Lange Rede, kurzer Sinn: Karla Sofía Gascón erhielt die Doppelrolle, spielte zuerst Manitas, und, nach der Transition, Emilia. Die Wahl erwies sich als goldrichtig. Gascón riss mit ihrer umwerfenden Performance das Publikum vom Sessel und sorgte für einen wahren Triumph.
Aber einfach war es nicht: „Der Dreh war ein einziger Hindernislauf“, erinnert sie sich und muss lachen: „Alles, was ich bislang geschickt vermieden habe, war plötzlich gefordert. Ich kann nicht singen. Ich kann nicht tanzen. Es war, als würde das Leben zu mir sagen: Das hast du alles nie gelernt. Jetzt kriegst du alles auf einmal.“
Am schwierigsten allerdings erwies sich die Aneignung des mexikanischen Akzents: „Ich habe zwar lange in Mexiko gelebt, musste den Akzent aber nie perfekt beherrschen. Es wäre aber für die Figur, die ich spiele, absolut unglaubwürdig, könnte ich keinen mexikanischen Akzent sprechen. Das war für mich die größte Herausforderung.“
Drogenboss Manitas heuert eine Anwältin an – gespielt von der ebenfalls ganz tollen Zoe Saldaña –, damit sie die geschlechtsangleichende Operation im Geheimen in die Wege leitet. Denn offiziell muss Manitas sterben, um als Frau ein neues Leben beginnen zu können. In einer unglaublich berührenden Szene erzählt Manitas dem operierenden Chirurgen von der Entscheidung zur Transition und von den Qualen, sich ein ganzes Leben lang immer gespalten gefühlt und oftmals sogar an Selbstmord gedacht zu haben: „Die Szene war schwere Arbeit für mich“, seufzt Karla Sofía Gascón: „Ich musste in die Dunkelheit eintreten. Ich glaube, jeder Mensch hat irgendwann in seinem Leben so eine Situation der absoluten Dunkelheit erlebt.“
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