Ein Königreich für eine Israeldebatte: "Richard III.“ bei den Festwochen

© Wiener Festwochen/Alexander Khanin
Itay Tirans Shakespeare-Inszenierung im Theater Akzent: der richtige Abend im richtigen, schrecklichen Moment.
Es ist, natürlich, ein endloses Blutbad. Zu Beginn, während die Zuschauer ihre Plätze suchen, wird auf der Bühne ein Name übermalt, Richard. Am Ende, wenn dieser an der Macht zerbrochene Mensch im schwarzen Dreck liegend, zuvor vergeblich nach einem Pferd rufend, erschossen sein wird, steht dieser Name wieder oben auf der inzwischen blutverschmierten Wand: Richard. Das Spiel, das endlose Brudermorden um des Herrschens Willen, kann von Neuem beginnen.

© Wiener Festwochen/Daniel Kaminsky
So, und jetzt sind wir bei der Herausforderung ans Publikum: Diese Produktion von Shakespeares „Richard III“, die nun bei den Wiener Festwochen zu sehen ist. kommt aus Israel, entstanden wenige Wochen vor den Anschlägen der Hamas, entstanden noch vor all dem, was folgte, kritisch gegenüber dem, was in dem Land passiert. Man kann es sich also mit ihr leicht machen - und die eigene Sicht auf diesen Konflikt herauslesen. Oder man schaut wirklich zu.
Machtlust und Brudermord, Gnadenlosigkeit und Niedertracht, Brutalität und die besondere Blödheit, die man braucht, um nach Herrschaft zu streben - klar, der gute alte William hat das alles schon durchleuchtet. Die Produktion nun richtet sich ans heutige Publikum. Die Konkurrenten Richards werden von einem Auftragskiller im Plastiküberwurf (Shlomi Bertonov) ums Eck gebracht, der dabei - Netflix-tauglich! - ein Lied summt, während er die Plane aufrollt, damit das Blut des Opfers keine Spuren hinterlässt. Hell und weiß ist nämlich die Welt, in der der Richard die dunkelste Grausamkeit entfesselt.
Seine körperliche Versehrtheit ist schlau gelöst: Evgenia Dodina (wahnsinnig intensiv) trägt einen Stöckelschuh und einen flachen, aus dem Gleichgewicht ist so ihr Tritt. Gnadenlos, nein: bösartig aber ist die trittsichere Zielstrebigkeit, mit der Richard seine Kontrahenten ausschaltet. Man müsste ja eigentlich verrückt werden an der Schlüssigkeit des Unheils, das hier ausbricht: Ja, so sind die Menschen zueinander, sie verraten und morden, sie unterwerfen sich selbst der größten Niedertracht, und Böses wie Gutes ist letztlich fruchtlos.
Burgschauspieler Itay Tiran hat das Stück als Beobachtung inszeniert - als einen Blick darauf, wie ein Machtapparat erobert und die Rechtsstaatlichkeit ruiniert wird und auf das endlose Leid, das daraus entsteht. Ja, er hatte Bibi Netanjahu im Blick, sagte er im KURIER-Interview, und wie dieser die israelische Demokratie gefährdet. Deswegen gibt es Friedenslieder und israelische Schlager als beklemmende Begleitsounds.

© Wiener Festwochen/Daniel Kaminsky
Aber Shakespeare ist, zum Glück, kein Zeitungsbericht (das weiß auch Tiran, der „auf eine ganze Galerie von diesen Typen wie Netanjahu“ verweist), und zum Glück auch kein ausufernder Online-Kommentar eines Festwochen-Dramaturgen, in dem dieser „Propaganda und Gehirnwäsche“ aus dem Pro-Israel-Lager beklagt, als ob es das nur von dort geben würde.
Denn das Blutbad der Menschen ist wahrlich endlos, sinkt ein Bruder darnieder, steht ein anderer auf. Tragödien haben keine Lösung, keine Gewinner. Es ist der richtige Abend im richtigen, schrecklichen Moment, einer, in dem man ahnt, wie verloren die Menschen sind, dass die Grenzen immer im Fluss sind zwischen Schuld und Sühne. Es ist ein Abend, der die Überzeugten aller Seiten aus dem gefühlten Wissen herauslösen könnte, würden nicht alle danach wieder das Handy aufdrehen und sich in der Welt der brandgefährlichen Komplexitätsreduktion verlieren.
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