Volkstheater-Premiere "The Boys Are Kissing": Der Gott des Gebussels

Yasmina Reza hat vor zwanzig Jahren einen Theaterhit geschrieben, der einen der bedrückendesten Aspekte des bürgerlichen Lebens durchdekliniert: Den Alltagshass zwischen Ehepartnern, nämlich. Man lebt nebeneinander und verachtet einander, und wenn dann etwas passiert, etwa, dass der eigene Sohn einem anderen Buben einen Zahn ausschlägt, dann bricht, wie im Stück "Der Gott des Gemetzels", all diese Emotion wie Eiter hervor. Bäh.
Daran hat sich seither nichts geändert, außer vielleicht das Bild von Beziehungen. Es muss ja nicht immer hetero sein, und Gleichberechtigung heißt letztlich auch, dass sich die all die LGBTQIA+-Menschen das Recht erkämpft haben, genauso verbitterte und blöde Ehen zu führen. Womit wir endlich bei der jüngsten Volkstheater-Premiere wären: Zak Zarafshan hat mit "The Boys Are Kissing" eine queere Paraphrase auf den "Gott des Gemetzels" geschrieben, die am Schluss vor allem eines zeigt: Nicht-Hetero-Sein ist auch keine Lösung.
Bei Zarafshan haben sich die neunjährigen Buben nicht geprügelt, sondern, huch, auf dem Spielplatz geküsst. Die Kampfmutter im Elternverein läuft schon wegen Moralverfalls auf Hochtouren. Also treffen sich die Eltern folgsam zur Aussprache. Es folgt, wie immer, wenn es um Eltern und Schule und Lebensentwurffassaden geht, die Doppelmoral, diesfalls durch den identitätspolitischen Fleischwolf gedreht.
Manche Häuser, liebe Kinder, haben nämlich einen phallusförmigen Kamin; manche haben keinen. In beiden aber wohnen Eltern, die sich eine Weltsicht zusammenlügen. Hier ist es auf der einen Seite das Hetero-Paar Sarah (Karoline Reinke) und Matt (Simon Bauer), auf der anderen Amira (Nancy Mensah-Offei) und Chloe (Katharina Kurschat), die zu Beginn des Stücks den Minihäuschen mit und ohne Kamin auf der Bühne (von Sophie Lux, Kostüme: Moana Stemberger) entsteigen. Und sich dann in den Infight darüber begeben, wer mehr Schuld und Vorurteil hegt, ob man das alles überhaupt so sagen oder denken darf und wo jetzt eigentlich das Problem liegt.

Die Buben sind ja wegen eines Bussis nicht gleich... schwul, ringt sich Matt ab. Was die beiden verheirateten Frauen natürlich jetzt auch nicht am richtigen Fuß erwischt, denn warum auch nicht? Es kommt zu einem Abtausch von beidseitigen Vorurteilsklischees und Klischees davon, wie man diese Vorurteile zu verbergen versucht, und Klischees davon, wie das nicht gelingt.
Die Fronten wechseln permanent, je nachdem, wer gerade wieder in ein Fettnäpfchen der Unkorrektheit getappt ist, und gehen natürlich auch innerhalb der Beziehungen auf. Man hüpft darin herum, inhaltlich und auch in Echt: Die ganze Bühne ist mit Hüpfburgboden überzogen. Das wird man ja wohl noch hüpfen dürfen!
All das wird überwacht und, wie im klassischen Theater, auch angeleitet von zwei queeren Engeln (Nick Romeo Reimann und Luca Bonamore): Analis (Kichern) und Klitoris (weiteres Kichern) zählen anfangs mal all das auf, was man so sexualorientierungsmäßig sein kann, und mischen sich dann - Götter des Gebussels - in die Aufarbeitung ein.
Etwa als der blöderweise schon tote Vater von Matt, den der Heteroklischeemann für seine eigene Queerfeindlichkeit verantwortlich machen will. Oder als dialektelnde Geilo-Polizisten mit Riesenpistole und Lackuniform.

Die treten am Schluss dann zum Seelenstriptease an. Da hatten Matt inzwischen einen anderen Vater verhauen, die schwangere Amira und Chloe ihre Beziehungsprobleme (Geldneid, Kinderwunschdifferenzen, die offene Kücheninsel) durchdekliniert und Sarah bei der Geburtstagsparty ihres Sohnes die Nerven weggeschmissen.
Das Ganze ist in der Regie von Martina Gredler ein leichtfüßiger Abend mit allerlei überdrehten Diskurs- und Klischeespielereien, launigem Exponieren der allseitigen Schablonenhaftigkeit in der Identitätspolitik und Referenzen an Reza (gegen Ende reckt es dann alle; eine Anspielung an das Emotionsspeiben bei "Gott des Gemetzels"). Und die Kinder? Die werden, sieht man am Schluss, eh anders, als die Eltern sich das so vorstellen. Traumatisiert aber sind sie alle.
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