Eine Rakete an der Rampe: „Ich möchte zur Milchstraße wandern!“

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Jan Philipp Gloger stellte sich als neuer Direktor des Volkstheaters vor: Er demonstriert die Aktualität von Jura Soyfer.

Die Rakete, die Marie Roth zimmern ließ, wird im Volkstheater nicht abheben. Und sie ist nie wirklich gestartet. Denn Jura Soyfer starb am 16. Februar 1939 im KZ Buchenwald – mit nur 26 Jahren. Aber das Wenige, das er hinterließ, lässt ahnen, welcher Stern aufgegangen wäre. Er knüpfte in Wien an das „Marstheater“ des Karl Kraus an – wie an die Possen von Johann Nestroy, der sich im Vormärz mit seinen Couplets gegen die Zensur zu behaupten wusste. Direkten Bezug nahm Soyfer im austrofaschistischen Ständestaat mit seinem Stück „Weltuntergang oder: Die Welt steht auf kein’ Fall mehr lang“, das er, wie so manch anderes, für das Kellertheater ABC nahe der Universität geschrieben hatte.

Die Ignoranz der etablierten Häuser in Bezug auf Jura Soyfer dürfte Jan Philipp Gloger geradezu beflügelt haben: Just mit dem Kommunisten, der den Nationalsozialismus und die Auswüchse des Kapitalismus geißelte, stellte er sich am Freitagabend als Direktor des Volkstheaters vor. Und wie schon bei seinem faszinierenden Abend „Kafka / Heimkehr“ bewies er seine Gabe, mehrere Texte eines Autors zu einem großen Ganzen zu verbinden: Bei „Ich möchte zur Milchstraße wandern!“, kompiliert in erster Linie aus drei Stücken, gelingt es ihm, Jura Soyfer von der Kleinkunst- auf die große Bühne zu transferieren.

Beklemmend aktuell

Nebenbei führt er den Autor auch von der altbackenen Revue in die Gegenwart. Denn das Stück „Vineta“ als definitiver Höhepunkt der zweieinviertel Stunden langen Inszenierung trägt nicht nur prototypische Züge des absurden Theaters der Nachkriegszeit: Es ist beklemmend aktuell.

Gloger beweist mit seiner durchaus programmatischen Entscheidung, dass er mehrere Faktoren in sich vereint: Er hat, wiewohl Deutscher, ein ausgeprägtes Gespür für österreichische Autoren; er besinnt sich auf das Volksstück, das sein Vorgänger als nicht prickelnd beiseitegeschoben hatte; und er kann „armes“ Theater: Seine Umsetzung kommt völlig ohne Video und Schnickschnack aus (bei der Adaptierung von „Caché“ in der Regie von Felicitas Brucker am Sonntag wird das anders sein). Gloger lässt vielmehr sein Ensemble glänzen. Zumal er weiß, dass sich alle – abgesehen von einem wieder hinreißend herumtänzelnden Samouil Stoyanov – erst in die Herzen des zu gewinnenden Publikums spielen müssen.

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Der Abend beginnt mit den Widrigkeiten einer Kleinkunstbühne (Marie Roth hat die Rakete mit einer solchen bestückt): Andrej Agranovski stellt als Jura Soyfer gleich einmal fest, dass die Vorstellung nicht beginnen könne – wegen der Technik. Und wegen der lustlos herumlungernden Mannschaft. Aber dann reißen sich alle am Riemen und hüpfen (über die Maßen unzeitgemäß) als Planeten rund um eine betont unterkühlte Sonne (Alicia Aumüller) herum. Ein Komet, der auf dem Weg zu seiner Schnuppe in der Milchstraße ist (so erklärt sich nach wenigen Minuten der Titel), wird mithilfe einer „Notverordnung“ abkommandiert, die von der Krankheit „Mensch“ befallene Erde zu zerstören.

Ein Professor (Sissi Reich) erkennt in der Sternwarte – die Kapsel der Rakete – die Gefahr, doch niemand nimmt ihn ernst, und die Nazi-Deutschen, die eine Kampagne der Bolschewisten und Juden mutmaßen, bleiben stahlhart dabei. Stoyanov als Alu-Kugel-Komet hält währenddessen armselig gemalte Touchdown-Schilder (noch zweieinhalb Tage!) vor Augen, er rast singend auch von der Loge ganz oben in die unterste.

Kleinkunstbühnengemäß begleitet Kostia Rapoport am Piano jazzig die Couplets, aber dann tanzen alle zu einer an DJ Ötzi erinnernden Disco-Version zu „Gehn ma halt ein bisserl unter“ ab.

Hochgradig bestechlich

Der Professor hat sich eher unpassend mit „Ich bin raus!“ verabschiedet – um dann als Vagabund Pistoletti den Auftritt von Hupka (im Stück „Astoria“) zu ermöglichen. Tjark Bernau lässt es alsbald und wohltuend bleiben, sich im Wiener Dialekt zu versuchen. Der Szenenreigen ist nun an der Rampe angekommen. Und manche machen, hochgradig bestechlich, mit, die Existenz des fiktiven Staates Astoria zu bezeugen. Schamlos wird die Hoffnung der Exilanten auf eine bessere Welt ausgenutzt.

Über die bitterböse Unterrichtsstunde im Jahr 2035, in der die Schüler rein gar nichts mehr über das Neo-Mittelalter der Zwischenkriegszeit wissen, geht es folgerichtig in das apokalyptische Vineta: In der versunkenen Stadt verzweifelt Maximilian Pulst als Jonny an der geschichtsvergessenen Umgebung. Ganz trist lässt Gloger den Abend aber nicht enden: Sein Theater trotzt den Widrigkeiten.

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