Selbst die betörenden Trompetenklänge (Martin Eberle) werden bald beklemmend und erinnern an den Thriller „Fahrstuhl zum Schafott.“ Es ist eine abgründige, finstere Märchenwelt, die Jacqueline Kornmüller im Wiener Odeon Theater mit ihrer Adaption von Ágota Kristófs Roman „Das grosse Heft“ geschaffen hat.
Die 2011 verstorbene ungarisch-schweizerische Schriftstellerin wurde in den 1980er-Jahren mit diesem Roman weltweit bekannt. Unerbittlich und brutal schildert sie darin die Absurdität des Krieges und es ist keineswegs abwegig, dass Kornmüller daraus nun ein Stück Musiktheater macht. Es sind sonderbare Klänge, die einen einem Strudel gleich ins Geschehen hineinziehen, insbesondere die originelle Percussion-Performance (András Dés), die konsequenterweise letztlich ziemlich nervtötend wird: Wir sind schließlich im Krieg, Er ist immer da, nicht Hintergrundgeräusch, sondern Hauptdarsteller.
Im Zentrum des Geschehens auf der kargen Bühne, die den eindrucksvollen Raum zur Geltung bringt, stehen neunjährige Zwillinge, die während eines Krieges von ihrer Mutter aufs Land zur Großmutter gebracht werden. Das klingt schöner, als es ist. Die Alte ist eine verbitterte, einsame Frau, die man in der Gegend nur „Hexe“ nennt., ihre Enkel konsequenterweise „Hexenbrut“ und Schlimmeres. Peter Wolf gibt ein überaus überzeugendes übles Großmutter-Tier im Kittel ab, das seine Hühner lieber selber frisst, anstatt sie mit den Enkeln zu teilen.
Die Kinder sind auf sich allein gestellt. Um zu überleben, erfinden sie eigene Regeln, die sie in ein großes Heft schreiben. Sie prügeln aufeinander ein, bis sie nichts mehr spüren, sie stellen sich taub, sie stehlen, betteln, und töten am Ende. Mit den Zwillingen Mercedes M. Vargas und Miriam M. Vargas hat man außergewöhnliche, und doch perfekte Darstellerinnen für diese sonderbaren Wesen gefunden.
Im Gleichschritt, einem Moonwalk gleich, walzen sie wankend auf Großmutters Blechhütte zu. Durch einen Teppich aus grauen Militätrdecken, der Acker, Minenfeld und Grab zu gleich ist. Für kaputte Dorfmädchen, missbrauchende Priester, streunende Hunde. Ein Bild der Welt am Abgrund.
KURIER-Wertung: 4 von 5 Sternen