"Gullivers Reisen" an der Burg: Klein oder nicht klein, das ist hier die Frage

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Das Erfolgsduo Nils Strunk und Lukas Schrenk begeistert nun auch mit „Gullivers Reisen“ .

Der zweitschönste Moment des Abends war jener, als viele helle Stimmen im Saal auflachten – und das reguläre Burgtheaterpublikum keine Ahnung hatte, warum. 

Mitten drin in einem hochakrobatischen Sprechreigen während "Gullivers Reisen" erschallte von der Bühne „6-7“ – und das war vielleicht das erste Mal, dass der aktuelle Online-Spaß der Stunde, also das derzeit weitestverbreitete Internet-Meme, in einer Burgtheaterinszenierung zitiert wurde (wenn sie nicht wissen, was „6-7“ heißt, dann fragen sie jemanden mit einem 2er am Beginn des Geburtsdatums). Gekichere im jungen Teil des Publikums.

Riese sein

Der schönste Moment war, als Rebecca Lindauer beim Schlussapplaus den Ohrwurm des Abends erneut anstimmte: „Wollt ihr die Riesen sein?“, sang sie, ein so unmittelbar berührender Song, dass er auf einer Musicalbühne, beim ESC, auf einem Kinderlieder-Album oder auch bei einer Schlagersendung mit viel Geschmack goldrichtig gewesen wäre. Er erklang aber auf der wichtigsten Bühne des Landes, und das war ein so unzynischer, unverkopfter, unmittelbarer Freudenmoment, dass man vergeblich versuchte sich zu erinnern, wann man zuletzt so viele glückliche Gesichter im Burgtheaterpublikum gesehen hatte.

Nils Strunk und Lukas Schrenk haben, so reimt man sich zusammen, irgendeinen Bühnenzaubertrank getrunken – und machen seither umjubelte Theaterabende, die etwas schaffen, was gerade derzeit goldrichtig ist: Sie lassen Theater Theater sein und machen, meist mit geringem, bei „Gullivers Reisen“ mit etwas mehr Aufwand, schlaue Schaustellerkunstwerke mit Musik, die das Publikum am Ende glücklich in die dunkle Nacht entsenden.

Nun also die hierzulande hauptsächlich als Kinderbuch bekannt Swift-Satire „Gullivers Reisen“. Rundherum kleben die beiden eine Rahmenhandlung, Martin Schwab als Original-Gulliver wohnt dabei, zunehmend melancholisch gestimmt, einer Theateraufführung seiner Lebenserinnerungen bei, die sein etwas windiger Neffe (Stefko Hanuschevsky) auf die Londoner Bühne bringt.

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Reduziert

Die Bühne in der Bühne hat natürlich nicht die Mittel des Burgtheaters. Und so lebt der Abend von jenen klassischen Theatertricks, die man dem jungen Publikum (ab 8) vorstellt und dem nicht mehr so jungen Publikum in Erinnerung ruft: Bei den Liliputanern stapft Gunther Eckes als Gulliver durch eine Mini-Stadt-Kulisse, bei den Riesen bekommt Lindauer dank Schattenwurf die nötigen Körpermaße.

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Im zweiten Teil (mit den weniger bekannten Stationen Gullivers bei den Intellektuellen und den Pferden) reduziert sich das Theater überhaupt auf Schauspielerinnen und Schauspieler in Kostümen. 

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Dazwischen darf eine bühnenhohe Schiffskulisse mehrfach untergehen (mit Herrn Gulliver gemeinsam sollte man jedenfalls keine Kreuzfahrt buchen).

Der Zauber des Abends entwickelt sich aus dem so liebevollen wie aufrichtigen Zugriff auf das Material – und dem Ensemble (jeweils in vielen Rollen): Markus Meyer gibt den größten Liliputaner, den kleingeistigsten Riesen und dreht zuletzt als Pferdeanführer Pirouetten.

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Dietmar König und Lola Klamroth geben ein schräges Monarchenpersonal, Annamária Láng spielt das Außenseiterpferd und die Liliputkaiserin, die gar nicht mitbekommt, womit der Riese Gulliver den Palastbrand löscht (ja, der Abend bietet einige der Greatest Hits des Kinderhumors, von Körperausscheidungen bis hin zu hilfreichen Schlägen auf den Hinterkopf). 

Sie alle tun das und mehr derart begeisternd, dass die Kleinen hier wirklich die Riesen sind – denn sie belehren Eltern, die sich um die Konfrontation der langen Spieldauer mit der Aufmerksamkeitsspanne sorgten, eines besseren. Drei Stunden waren es letztlich, und obwohl das eigentlich zu lange ist, ging man als Begleitung begeisterter, singender junger Menschen nach Hause. Das muss Theater mal schaffen.

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