"Killing Carmen" an der Volksoper: Tod und Verklärung in Sevilla

Die „Habanera“ – mit Schlagzeugbeat! Oper, die wie Musical klingt. Musical, das wie Oper klingt. Julia Edtmeier, die croonend und röhrend über die Bühne der Volksoper hirscht, als wäre der Jazz noch genauso quicklebendig, wie man es sich von der Oper wünschen würde. Eine Opernsängerin, die mit Volldampf ins Mikro schmettert, als müsste sie die Arena von Verona beschallen.
Bei „Killing Carmen“ passiert alles, was im Opernhauptabend sonst strikt verboten ist oder, schlimmer, neu wäre. Und das auf so schlaue, liebevolle und beglückende Weise, dass man diese Produktion nicht nur Neueinsteigern, sondern gerade Opernfans ans Herz legen muss: Es ist ein Abend der Liebe zu einem Genre, das erst in seine Einzelteile zerlegt werden muss, um mal wieder seinen vollen, frischen Glanz zu zeigen.
Oper, das geht auch ganz ohne Prunk bei Bühnenbild und Musikeranzahl.

Nils Strunk und Lukas Schrenk haben mit ihren Bearbeitungen der „Zauberflöte“ und der „Schachnovelle“ das Burgtheater erobert; dass bei der nunmehrigen „Carmen“-Bearbeitung die Wiener Theaterprominenz ausführlich vertreten war, belegt, wie entzückend sie das taten.
Nun erzählen sie „Carmen“ weiter: 13 Jahre nach der Opernhandlung treffen sich die Figuren der Oper wieder, um der Hinrichtung von Don José beizuwohnen. Es ist ein Klassentreffen mit noch bittererem Beigeschmack, als es diese peinsamen Termine ohnehin immer haben.
Verzweiflung
Alsbald blicken Micaëla (Edtmeier), Moralès (Florian Carove) und Tavernenbesitzer Lillas Pastia (Gabriel Cazes, auch musikalische Leitung und Klavier) auf die dramatischen Opernereignisse wie auf eine fatal missglückte Maturareise zurück. Und wie es uns allen so geht, sie tragen den Schmerz und die Verzweiflung und die Enttäuschung von damals ins Heute.
So entspinnt sich ein verschachteltes Spiel von Gegenwart und Rückblick, die Szenen der Oper fließen mit dem Treffen ineinander. Der heutige Moralès trifft den damaligen Don José (Anton Zetterholm) in einer Nachstellung der Opernanfangsszene. Aber er weiß diesmal schon, ebenso wie der Operngeher, wie das alles ausgehen wird. Zwischen Jazz- und Indiepopversionen der unkaputtbaren „Carmen“-Melodien, gespielt von einem hervorragenden Sextett, wird die Emotion der eh nicht emotionsarmen Oper so noch einmal erweitert: Man taucht ein in jenes „Was wäre, wenn ...“, das einen des nächtens im Rückblick auf die Fehler im Leben wachhält. In all die Schlauheit und Spielfreude ist bittere Traurigkeit eingewirkt.
Micaëla durchlebt erneut ihre enttäuschte Liebe zu Don José. Und da nimmt die Musik den ganz breiten Musical-Pinsel in die Hand: Denn klar, die Vergangenheit, die man im Kopf hat, ist immer Kitsch. Am Schluss dieser Traumszene von der unerfüllten Liebe hält Don José ein imaginäres Baby in den Händen – und Micaëla reißt es in die Realität zurück.

Und Glück
Am Anfang braucht die Aufstellung der Figuren ein wenig; es gibt insgesamt ein wenig zu viel englischen Dialog. Spätestens aber wenn Katia Ledoux als Carmen erstmals auf die Bühne kommt, entwickelt sich das volle Glück dieses Abends: Sie fährt, wenn sie von den bunten Vögeln der Liebe singt, ihre Stimme voll aus – mit Verstärkung und Bandhilfe wackelt da das Haus. Und für einen kurzen, schönen Moment kapiert man, was einem an sonstigen Abenden so selbstverständlich erscheint, dass man es nicht der Rede wert findet: wie außerordentlich es nämlich eigentlich ist, dass manche von uns Menschen so schön singen können. Da ist es dann auch ganz egal, ob man das alles in Opernmaßstäben natürlich schon schöner gehört hat, wie der Opernfreund an dieser Stelle gerne einwirft. Man hört die Schönheit einer durch ihre eigenen Hits der Rezeption eigentlich längst verstellte Oper mit frischen Ohren und neuem Glück.
Letzteres sucht Escamillo (Stefan Cerny) auch noch einmal. Der einst strahlende Torero kauert als gebrochener B’suff im Eck der Taverne – streift aber dann den schwarzen Umhang noch einmal ab, um in der Vergangenheit zu baden. Am Schluss hört man die Glocken läuten, Don José ist hingerichtet. Eine weitere Leistung des Abends ist, dass man die Freude des Moralès darüber nicht teilt. Man geht, nach den Standing Ovations, mit den erwartbaren Ohrwürmern nach Hause. Und mit einer unerwarteten Rührung darüber, wie fragil das alles ist, was wir Leben nennen, sowie dem Gefühl, dass alles, was wir fühlen und tun, auch ganz anders sein könnte.
Kommentare