Familienaufstellung
Es darf also betrogen und gelogen werden, dass sich die sprichwörtlichen Balken biegen. Denn dieser Tartuffe, der vorgibt, ein Mann Gottes zu sein, und sich dadurch die Gunst des Pariser Bürgers Orgon erschleicht, hat in Wahrheit ziemlich weltliche Ziele. Er will Orgons Frau Elmire verführen, deren Tochter ehelichen und die Familie Orgons um ihr Haus und Geld bringen. Allen ist das klar.
Mit Ausnahme von Orgon, der sich nebenbei auch noch gegen die Liebeshochzeit seiner Tochter Mariane mit einem gewissen Valère wehrt und auf Betreiben von Tartuffe seinen Sohn Damis aus dem Haus wirft. Dazu gibt es noch Orgons Mutter, seinen Schwager Cléante sowie die kecke Zofe Dorine. All diese Charaktere lässt Molière virtuos aufeinander los.
Perückenparade
Ein Stoff wie geschaffen für viel Komik, aber auch böse, tiefgehende Sozialkritik. In Reichenau kann sich Regisseur Guntbert Warns nicht so recht entscheiden, welchen Weg er einschlagen will. Ezio Toffolutti hat einen riesigen rot bedeckten Tisch in den Neuen Spielraum gestellt, der auch als Tanzfläche verwendet werden kann. Dazu gibt es viele (ebenso rote) Stühle und Kostüme (Erika Navas), die zwischen Gegenwart und Renaissance changieren. Perücken inklusive.
Ein Umfeld, das die Protagonisten mit Verve bespielen. Außer in manchen Szenen, in denen Regisseur Warns eine Art Handbremse anzieht. Da steht er bei einigen jedoch auf verlorenem Posten. So ist Stefanie Dvorak als kluge Dorine ein wahrer Bühnenwirbelwind. Wenn sie gemeinsam mit der übrigen Damenwelt Tartuffe eine Falle nach der nächsten stellt, sorgt das für Action und viel Spaß. Ebenso wie Dirk Nockers Darstellung des Orgon. Dieser ist ein völlig fehlgeleiteter, herrlich überdrehter Pseudomoralist, der seinem „Erlöser“ Tartuffe alles glaubt und alles schenkt.
Spinnennetz
Dazu passt, dass Stefan Jürgens diesen Hochstapler tatsächlich als eine Art Erlöserfigur anlegt. Salbungsvoll wehrt er alle Finten ab, mit gefährlichem Charme umgarnt er Elmire, mit Nonchalance lässt er Orgon immer mehr in sein Spinnennetz geraten. Eine schöne Leistung.
Emese Fay wiederum gibt eine Elmire, die diesem Pseudogottesmann durchaus erliegen könnte. Einer der Höhepunkte ist ein neckisches Tänzchen zwischen Tartuffe und Elmire auf dem Tisch, bei dem man verbale Spiegelfechtereien austauscht.
Als Orgons heißblütiger Sohn Damis darf Sky MacDonald viel Temperament zeigen. Als braves, an der Liebe zu Valère (Johannes Deckenbach) verzweifelndes Töchterchen zeigt Laura Dittmann die Mariane. Elisabeth Augustin ist eine würdevolle Mutter, Michael Masula ein köstlicher Cléante und Rainer Friedrichsen ein staubtrockener Gerichtsvollzieher.
Ganz am Ende taucht dann Molière (Matthäus Zaborszyk) auf, lässt Tartuffe scheitern und bringt alles ins Lot. Viel Applaus.
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