"Tannhäuser"-Regisseurin: "Wir müssen dazu verführen, zu denken“

Wagner und Wien, das ist eine wechselvolle Geschichte. Deren nächstes Kapitel schreibt Lydia Steier: Die US-Regisseurin mit Wiener Wurzeln inszeniert "Tannhäuser“. Premiere an der Wiener Staatsoper ist am Donnerstag.
Jordan-Finale
Die „Tannhäuser“-Premiere am kommenden Donnerstag ist die letzte von Philippe Jordan als Staatsopern-Musikdirektor. Regie führt Lydia Steier, die aufwendige Bühne stammt von Momme Hinrichs.
Besetzung
Clay Hilley singt die Titelrolle, Martin Gantner statt des erkrankten Ludovic Tézier den Wolfram von Eschenbach. Weiters Günther Groissböck, Daniel Jenz, Ekaterina Gubanova, Malin Byström.
KURIER: Mit „Es geht um nichts weniger als um die Liebe“ preist die Staatsoper den „Tannhäuser“ an. An zynischen Tagen könnte man sagen: Es geht doch da nur wieder um den Mann, der an sich selbst leidet, und irgendwie sind die Frauen schuld.
Lydia Steier: Es ist so vielschichtig. Es geht um die Liebe, aber nicht nur. Sie ist Zündstoff für Kunst und Kultur. Auch das Männerleid ist natürlich ein Teil davon. Und es geht um die Unmöglichkeit, dass Begehren in einer korrekten Gesellschaft existiert, die Unmöglichkeit, ein authentisches Leben in einer Gesellschaft zu führen, die keine Veränderung im Charakter oder auch der Begierde erlaubt. In dieser Hinsicht ist das Stück sehr zeitgemäß. Besonders jetzt, da wir ein starkes Zurückschnalzen zu einer viel konservativeren Sicht von Moral, Lebensstil und Geschmack erleben. Man muss zeigen, wie gefährlich Begierde für eine Gesellschaft sein kann.
Das hat Wagner ja selbst am besten gewusst: Er hat sich seinen Begierden hingegeben und gleichzeitig Vorbehalte gehabt.
Er war sein ganzes Leben von seiner eigenen Begierde verängstigt.
Ausgelebt hat er sie aber schon – er hat auch seinen Freunden die Frauen ausgespannt...
Ja, aber wenn man seine Schriften liest, fragt man sich, wie viel sexuellen Kontakt die dann wirklich hatten, oder ob sie nicht einfach zusammengesessen sind und einander Gedichte vorlasen. Der Größenwahn war gewaltig bei Herrn Wagner.
Auch Tannhäuser verliebt sich eigentlich in die Verführung, oder? Ich bin so froh, dass Clay Hilley die Titelrolle singt. Clay sieht aus wie ein Mensch, der das Leben genießt, der isst und trinkt. Er ist diese Figur auf der Bühne, die offensichtlich hungrig nach Leben, nach Allem ist. Aber er lebt in einer Gesellschaft, in der das Hungern angesagter ist. Und nicht nur das, auch der zynische Akt, alles Lustvolle abzulehnen, aber dann so zu tun, als kennt man es. Tannhäuser ist unfähig dazu, korrekt zu sein. Wolfram hat ähnliche innere Konflikte, aber er ist besser darin, sie zu verstecken.
Wie die meisten Menschen.
Wie wir alle. Wir alle wünschen uns, Tannhäuser zu sein, aber wir sind Wolframs.
Wagner an der Wiener Staatsoper zu inszenieren – welchen Zwängen ist man da selbst unterworfen?
Ich war zu Beginn extrem nervös! Alle diese Produktionen gelten hier als legendär und mit Feenstaub bestäubt. Wir zitieren im „Tannhäuser“ übrigens die Staatsopern-Produktion aus 1938. Es ist so ein vielfältiges Werk, das der Regie viele unterhaltsame Möglichkeiten eröffnet. Man muss sich nur von den Erwartungen lösen.
Wenn die nicht erfüllt werden, reagiert das Publikum aber bekanntermaßen lautstark.
Dabei gibt es so etwas wie eine „traditionelle Inszenierung“ gar nicht! Schauen Sie sich die „Tosca“-Inszenierung mit Maria Callas aus 1965 an. Die Frisuren sind doch eindeutig aus den 1960er-Jahren!
Und auch das Publikum ist heute halt ein anderes als jenes im 19. Jahrhundert. Große Kunst funktioniert deshalb, weil sie zu uns über die Zeit hinweg spricht – und zwar jetzt. Es gibt einen Grund, warum Shakespeare auf eine Million verschiedene Arten adaptiert wurde, nämlich die Geschichten selbst. Es geht nicht um Richard den Dritten. Es geht um die Angst vor Verlust der Identität oder der Macht. Das sind universelle Ideen. Die können wir auf interessante Weise drehen, um uns den Druck unserer eigenen Gesellschaft zu zeigen. Und es gibt keinen Grund, etwas aufzuführen, wenn es dann nur ein Museumsstück ist.
Was aber muss man bei der Regiearbeit beachten?
Man muss eine gute Geschichte erzählen. Man muss wissen, wie man mit den Elementen auf der Bühne arbeitet. Man kann nicht einfach irgendeinen nicht-musikalischen Mist auf die Bühne kotzen. Es ist eine große Kunst, Oper auf die Bühne zu bringen, aber es ist auch unsere Pflicht, sie in etwas zu verwandeln, das uns jetzt etwas sagt und auch zukünftigen Zuschauern etwas sagen wird. Wenn man nur zu den Erwartungen spricht, die das Publikum in der Vergangenheit hatte, dann wird diese Kunstform sterben.
Was also sagt uns der „Tannhäuser“ heute?
Man muss heute wieder überlegen, ob man nicht verstecken soll, wer man ist. Sein Begehren, seine politische Einstellung, was man fühlt. Auch Tannhäuser fühlt sich, als ob er nirgends dazugehören würde. Es geht um dieses Unwohlsein, den Schmerz und die Heimatlosigkeit. Das sagt auch viel über das Leben als Künstler: Dass man sich nie wohlfühlt, nie zuhause.
Die Notwendigkeit, nicht aus der Menge herauszuragen, ist heute längst wieder politisch: Andersartigkeit wird bestraft.
Ich mag es nicht, eine fotorealistische Wiedergabe der Gegenwart zu zeigen. Aber es gibt zwei Zeitpunkte, um die es mir geht, um die Weimarer Republik und das Jahr 1938.
Zumindest an den historischen Umständen der Weimarer Republik sind wir unangenehm nah wieder dran.
Die Bewegung in Richtung Autoritarismus, weg von der Demokratie ist spürbar. Und es hat etwas leicht Bedrohliches, das auf der Bühne zu sehen.
Indem Sie die „Tannhäuser“-Produktion des Jahres 1938 zitieren ...
Wir haben ein paar verborgene Zitate historischer Produktionen auf der Bühne. Für die, die den Zusammenhang nicht kennen, ist das einfach eine ziemlich mittelalterlich aussehende Mauer. Wir müssen das Publikum unterhalten – aber auch dazu verführen zu denken. Nicht mit dem Holzhammer! Wir thematisieren auch die Geschichte des Theaters, von der Zeit, als Menschen begannen, etwas gemeinsam zu schaffen, bis zum Medienzeitalter, in dem alle extrem voneinander isoliert auf Bildschirme starren. Es ist extrem modern, aber es ist auch wunderschönes, großes, opulentes Theater mit Kostümen und Bühnenbildern, die einen sozusagen in eine warme Umarmung hüllen.
Man darf sich also unterhalten fühlen?
Ich bin Amerikanerin, ich liebe das Entertainment! Man muss unterhalten und auch verblüffen, beeindrucken. Und man sollte sich auch daran erfreuen können, denn es gibt nichts Wunderbareres, als die unglaublichste Musik zu hören und diese einladenden, verführerischen Bilder zu sehen. Und es muss den Preis des Tickets wert sein. Es gibt diese unglaublichen Bühnenbilder, es ist eine große Produktion.
Aber, nochmal zurück zu 1938 – es gibt mit Wien und Wagner immer noch unangenehme Kontexte.
Ein bisschen etwas Braunes?
Ja, ein kleiner Brauner. Das spielt ja auch in Ihre Familiengeschichte, Ihre Familie wurde aus Wien vertrieben. Spielt das in der Inszenierung mit?
Das war schon Teil des Ganzen, als ich das Konzept entwickelte. Ich bin damit aufgewachsen, dass mein Großvater von seiner Kindheit in Wien erzählte, wie er im Ronacher hinter der Bühne herumlief. Ich hatte immer eine Vorstellung davon, wie das Ronacher ausgesehen hat. Es wurde 1938 arisiert, als die meisten Menschen aus der Familie meines Großvaters deportiert und ermordet wurden. Dieses imaginäre Ronacher in meinem Kopf ist der Venusberg. Es hat mein Konzept inspiriert. Aber die Inszenierung hat sich davon wegbewegt, sie hat ihr eigenes Leben und ihre eigene Energie entwickelt. Aber es ist die Saat dessen, was wir sehen werden.
Kommentare