Das als Vorbemerkung zur Betrachtung der ersten Produktion der Osterfestspiele nach Christian Thielemann und dessen Sächsischer Staatskapelle Dresden. Und schon sind wir mitten im am heftigsten diskutierten Thema der Premiere von Richard Wagners „Tannhäuser“: der musikalischen Gestaltung durch Andris Nelsons und das Gewandhausorchester Leipzig. Dieser Klangkörper ist gut, nicht so farbenprächtig wie Dresden, nicht so präzise, wendig und kraftvoll wie Berlin, quer durch alle Instrumentengruppen geht „Tannhäuser“ besser. Aber der Hauptkritikpunkt trifft Nelsons selbst: Er zelebriert dieses Werk in einer solchen Langsamkeit, auf Einzelteile dekonstruiert, dazwischen mit ewig langen Generalpausen, sodass der große Bogen verloren geht.
Durch diesen langen Atem gibt es zwar auch berückend schöne Momente, etwa beim Pilgerchor oder beim Lied an den Abendstern, das Christian Gerhaher als Wolfram traumhaft und in jeder Hinsicht aus der Zeit gefallen singt. Einer mitreißenden Erzähldramaturgie steht diese Lesart jedoch im Wege.
Als Regisseur für seine erste Eigenproduktion in Salzburg hat Bachler den italienischen Künstler Romeo Castellucci geholt. Mit ihm hat er „Tannhäuser“ schon 2017 in München realisiert. Damals war die Bayerische Staatsoper dank Bachler und Kirill Petrenko das beste Operntheater der Welt und diese Produktion ein Ereignis (auch wegen des Dirigats). Nun hat Castellucci die Münchener Produktion neu einstudiert, man erkennt auch einige Unterschiede (weniger Fatsuits etwa im Venusberg, wo es um die fleischliche Lust geht). Das Konzept ist jedoch ähnlich und offenbart bei der zweiten Ansicht noch klarer Stärken und Schwächen.
Das Beeindruckendste daran ist, bei aller Reduktion, die Bilderflut, die Castellucci wie kein Zweiter schafft. Schon bei der Ouvertüre (in der Pariser Fassung) choreografiert er Bogenschützinnen oben ohne auf der Bühne – sie schießen Pfeile in Tannhäusers überdimensionales Auge. Die Jagd der Gesellschaft auf ihn, den Sünder, hat begonnen.
Im ersten Aufzug setzt Castellucci auf eine amorphe, gesichtslose, ineinander verschlungene Menschenmasse, im zweiten Aufzug gestaltet er die Sängerhalle nur durch Gazevorhänge. Den ganzen dritten Aufzug hindurch bestattet er Tannhäuser und Elisabeth und zeigt deren Verfall über die Jahrtausende. All das ist ästhetisch, visuell fabelhaft und ein eigenständiges Kunstwerk. Wir sind hier – im besten Wortsinn – im Opernmuseum bei der Ausstellung eines großen Künstlers. Allerdings, und damit kommen wir zu einer Schwäche, sind die Figuren kaum geführt, man erkennt kein Ringen des Tannhäuser, keine Eifersucht des Wolfram, am besten ist diesbezüglich noch die leidende Elisabeth. Die Protagonisten Jonas Kaufmann und Marlis Petersen sind zwar darstellerisch präsenter als Klaus Florian Vogt und Anja Harteros vor sechs Jahren in München. Ein Kraftpaket wie Kaufmann und eine der besten Singschauspielerinnen wie Petersen können aber szenisch mehr. So bleiben es im würdevollen Steh- und Schreittheater nur Bilder einer Aufstellung (oder Abstellung, wie nicht abgeholt).
Für Kaufmann und Petersen waren es Rollendebüts (auch das zeigt Bachlers Ansprüche als Intendant). Kaufmann singt den Tannhäuser recht vorsichtig, anfänglich mit viel Italianità, dann durchaus heldisch in der Rom-Erzählung, mit wunderschönem Timbre und herrlichen Phrasierungen. Bezüglich Ausdruck und Intensität ist da jedoch Luft nach oben. Petersen ist eine stimmlich zarte, lyrische Elisabeth, ausreichend dramatisch in der Hallenarie, berührend in ihrem Gebet. Ein sanfter erster Wagner-Schritt.
Die Stilisten Christian Gerhaher (Schubert meets Wagner) als Wolfram und Georg Zeppenfeld als Hermann sind überragend, Emma Bell (Einspringerin für Elina Garanca) ist eine famose Venus, der Tschechische Philharmonische Chor Brünn und der Bachchor Salzburg müssen angesichts der Tempi viel leisten und agieren solide.
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