"Stiller"-Regisseur: „Das hat etwas zutiefst Beunruhigendes“
Ist er’s, oder ist er’s nicht? Abrecht Schuch und Paula Beer grübeln über Stiller.
Die Literatur ist voll berühmter erster Sätze. Einer stammt aus Max Frischs Romanrätsel „Stiller“. „Ich bin nicht Stiller“, behauptet ein Mann, dessen Identität erst festgestellt werden muss. Wie man so etwas verfilmt? Regisseur Stefan Haupt, dessen Film „Stiller“ ab heute im Kino zu sehen ist, gibt Auskunft.
KURIER: Den Satz „Ich bin nicht Stiller“ kennen viele, selbst wenn sie den Roman nicht gelesen haben. Max Frisch war in Österreich Schullektüre. Ist das in der Schweiz noch so?
Stefan Haupt: Max Frisch wird immer noch häufig in der Schule gelesen, aber praktisch nie „Stiller“. Ich finde das gar nicht schlimm, denn das ist für Jugendliche schon eine heftige Einstiegslektüre. Ich selber habe „Stiller“ auch erst nach der Schule gelesen.
Regisseur Stefan Haupt kannte Max Frisch persönlich
Von Max Frischs „Homo Faber“ gibt es zwei Verfilmungen. „Stiller“ ist durch seinen unzuverlässigen Erzähler eine besondere Herausforderung. Wie sind Sie an diese herangegangen?
Mir und Co-Autor Alex Buresch war klar, dass wir mit großem Respekt an diesen Roman herangehen, ihm aber nicht hörig sein wollen. Wir wussten, dass wir nie und nimmer das ganze Buch einfangen können, also versuchten wir, die Essenz „herauszusaugen“. Und so haben wir die ganze Identitätsfrage stark beibehalten, aber auch dieses Quartett: Stiller, respektive White und seine Frau Julika und dann der Staatsanwalt und seine Frau Sibylle. Der Roman schildert ja, wie dieser James Larkin White, ein Amerikaner, in die Schweiz einreisen möchte und von einem anderen Zugpassagier – vermeintlich – als der verschwundene Anatol Stiller enttarnt wird. Im Roman kann die Frage, ob er es ist, oder nicht, unglaublich spannend weiter beigehalten werden. Wir machen uns als Leser unsere eigenen inneren Bilder. Doch im Film waren wir natürlich gezwungen, Gesichter zu zeigen. Wir haben früh entschieden, dass wir versuchen möchten, mit zwei Schauspielern zu arbeiten, um auch das Element dieser Verwirrung beizubehalten.
Das stiftet tatsächlich Verwirrung. Vor allem, weil Albrecht Schuch irgendwann dann doch beide Rollen übernimmt.
Ich habe Max Frischs zweite Ehefrau Marianne Frisch vor den Dreharbeiten besucht. Und gleich das Erste, was sie mich gefragt hat, war, wie wir diese Frage lösen werden. Sie meinte, genau daran wären noch alle gescheitert. Von den gescheiterten Versuchen, die beiden Identitäten bildlich darzustellen, wusste ich allerdings nichts. Aber dass es eine Herausforderung werden würde, das merkte ich natürlich schnell.
Der Erzähler, dem man nicht trauen kann, ist ja die Quintessenz des Buches und auch dieses Films. Haben Sie dem Erzähler jemals geglaubt?
Wenn ich an die erste Lektüre zurückdenke, als junger Mann, da habe ich nicht gleich gewusst, ob White und Stiller eine Person sind. Als ich jetzt mit meinem Co-Autor am Film zu arbeiten begann, sagte er zu mir: Aber das weiß man ja beim Lesen von der ersten Seite weg, dass er es ist. Doch die Schweizer Produzentin und ich, wir sagten beide, nein, wir wussten das nicht so schnell. Ich finde, in dieser offenen Frage liegt eine große Kraft. Das ist von Max Frisch so toll erzählt, dass man Gründe hat, zu zweifeln.
Und es ist ja auch sehr spannend, sich genau auf diese Zweifel einzulassen.
Ja, das ist sehr spannend. Die Frage, ist der andere wirklich der, für den er sich ausgibt oder ist er der, den ich meine, zu kennen? Kann man sich so sehr ändern, dass man ein anderer wird? Diese Fragen haben etwas zutiefst Beunruhigendes. Wir wünschen uns ja für uns selber die Möglichkeit, uns als Individuum weiterzuentwickeln. Und gleichzeitig wünschen wir uns, erkannt zu sein als dieses spezifische Individuum.
War für Sie immer klar, dass Sie die Handlung in der Zeit der Entstehung des Romans, den 1950er-Jahren belassen wollen?
Natürlich stand für uns eine Aktualisierung im Raum. Gerade hinsichtlich dieser Selfie-Kultur der Menschen heute, die sich überall ins rechte Licht rücken und das auf Social Media veröffentlichen, wo sie dann immer glücklich und erfolgreich sind, ganz ohne Schattenseiten. Das wäre natürlich auf der Hand gelegen. Gleichzeitig schien es uns, dass das letztlich fast schon die plumpere Variante gewesen wäre. Denn heutzutage hätte es eine DNA-Analyse gegeben und es wäre jedem sofort klar gewesen, dass White eben dieser Stiller ist. Es wäre also ein Kurzfilm geworden. Und hätte er es immer noch abgestritten, wäre er ein Fall für die Psychiatrie geworden. So war es ja nicht gedacht.