„Věc Makropulos“: Erst die Endlichkeit macht das Leben wertvoll
Um den Finger gewickelt: Pavel Černoch, Bo Skovhus, Marlis Petersen und Wolfgang Bankl
Von: Helmut Christian Mayer
Sie ist unvorstellbare 337 Jahre alt, immer noch wunderschön und heiß umschwärmt: Emilia Marty alias Elina Makropulos, die gefeierte Operndiva. Ihr Vater, Leibarzt bei Kaiser Rudolf II. in Prag, hat Ende des 16. Jahrhunderts an ihr ein lebensverlängerndes Elixier ausprobiert, dessen Wirkung nun demnächst ausläuft.
In „Věc Makropulos“, der vorletzten Oper von Leoš Janáček (UA 1926), die jetzt an der Wiener Staatsoper wiederaufgenommen wurde, geht es aber nur scheinbar vordergründig um einen hundertjährig andauernden Erbstreit, in dem Emilia an das Rezept für den Zaubertrank kommen will, sondern vielmehr darum, ob es wirklich erstrebenswert ist, ewig zu leben. Denn es ist unschwer zu erkennen, dass die Protagonistin ihres Lebens überdrüssig ist: Sie begegnet den Nachstellungen der Männer nur noch mit Verachtung und Zynismus. Und tatsächlich, obwohl sie die Rezeptur letztlich in den Händen hält, entscheidet sie sich für den Tod als Erlösung, denn erst die Endlichkeit macht das Leben wertvoll.
Präziser Naturalismus
Regie-Urgestein Peter Stein zeigt in seiner konventionellen Inszenierung dieser Rarität aus 2015 präzisen Naturalismus. In einer historisierten Szene, einer mit Akten voll gestopften, altmodischen Rechtsanwaltskanzlei und einem luxuriösen Hotelzimmer (Bühne: Ferdinand Wögerbauer) und in Kostümen (Annamaria Heinreich) aus den 1920er-Jahren regiert besonders im ersten Akt viel Statik.
Stärker und lebendiger wird es ab dem zweiten, richtig spannend wird es dann im dritten Akt, wenn Emilia trotz Erlangen der Rezeptur darauf verzichtet, plötzlich zu einer Mumie wird und stirbt. Ausdrucksvollen Gesang in oft extremen Lagen verlangt der Komponist: Marlis Petersen, als Emilia Marty alias Elina Makropulos in zauberisches Licht getaucht, wickelt die Männer um die Finger, singt stets unangestrengt mit ungefährdeten Höhen und bestreitet souverän die Partie.
Wie schon 2015 singt Wolfgang Bankl den Dr. Kolenatý mit robustem Bassbariton. Der ehemalige Verehrer Hauk-Sendorf, der mittlerweile zum skurrilen Greis geworden ist, wird von Matthäus Schmidlechner liebe- und humorvoll gespielt.
Skovhus fehlt es an Kraft
Pavel Černoch als Albert Gregor erfüllt alle Voraussetzungen dieser Partie mit durchschlagskräftiger, tenoraler Expressivität. Bo Skovhus, der als Jaroslav Prus in den Genuss einer Liebesnacht mit Emila kommt, fehlt es an stimmlicher Kraft. Nicht ohne Charme erlebt man Carlos Osuna als dessen Sohn Janek Prus. Lukas Schmidt ist ein prägnanter Diener Vítek. Alma Neuhaus ist die feinstimmige Krista.
Je älter er wurde, umso radikaler, moderner wurde Leos Janácek. Und mit 71 Jahren komponierte der eigenwillige Komponist aus Brünn dieses Werk, das leidenschaftlicher, ekstatischer wurde als alles zuvor. Tomáš Hanus am Pult des Staatsopernorchesters lässt die kleinteiligen Klangskizzen, die sich in rasender Geschwindigkeit wiederholende Motive, die kühnen Streicherfiguren und Bläsersoli mit höchster Intensität und einer enormen Vielschichtigkeit musizieren und bringt die Partitur besonders zum Finale prachtvoll zum Leuchten. Viel Applaus!
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