So war das erste "Opernair" der Wiener Staatsoper

Das einzig Traurige an diesem Abend ereignete sich um 18.24 Uhr, mehr als eine halbe Stunde vor Konzertbeginn: Da mussten die Tore zum Burggarten geschlossen werden, weil die maximale Besucherkapazität von 7000 Besuchern erreicht war. Zu diesem noch nie dagewesenen Ereignis wären garantiert noch wesentlich mehr gerne gekommen. Vielleicht beim nächsten Mal dann, stellte Staatsoperndirektor Bogdan Roščić am Ende in Aussicht - falls diese Form der Saisoneröffnung noch einmal stattfindet und man auf eine noch größere Location ausweicht.

Es war auch für ihn ein besonderer Abend - und ein sehr erfolgreicher dazu. Ihm ist gelungen, was viele Staatsoperndirektoren vor ihm versucht hatten: den Septemberauftakt der größten Wiener Bühne standesgemäß zu zelebrieren. An anderen wichtigen Opernhäusern weltweit hat die Saisoneröffnung eine wesentlich größere Tradition, die Mailänder Scala wartet sogar bis Dezember, ehe die neue Spielzeit offiziell beginnt. In Wien waren bisher sämtliche Bemühungen an den Wiener Philharmonikern gescheitert, die bis Ende August bei den Salzburger Festspielen engagiert sind. Dadurch, weil nicht geprobt werden kann, ist eine Opernpremiere Anfang September an der Staatsoper unmöglich - außer man zeigt eine Koproduktion.
Wenn es aber im Haus nicht klappt, warum dann nicht außerhalb des Hauses, war wohl der Gedanke hinter diesem Eröffnungskonzert, das sich "Opernair" nannte. Und welcher Ort wäre besser dafür geeignet als der Burggarten, nur ein paar Gehminuten von der Staatsoper entfernt? Wohl keiner, weil die Hofburg im Hintergrund als Kulisse genauso spektakulär ist wie Schönbrunn für das Sommernachtskonzert der Wiener Philharmoniker. Nur dass halt dort weit über 100.000 Besucher in den Park passen.
Auch das Konzert im Burggarten war für die Besucher gratis - eine tolle Sache und hoffentlich ein Argument für manche Novizen, das eine oder andere Mal in die Oper zu gehen. Die Bühne war in der Ecke zwischen Palmenhaus und Hofburg aufgebaut und erinnerte optisch an jene in Schönbrunn. Die Akustik ist sehr gut für ein Open-Air, die Kulisse prachtvoll, manchmal sah die in rot getauchte Hofburg aus, als wäre sie von Hermann Nitsch beschüttet worden - aber sogar das passte zum Anlass, immerhin hatte er ja in der Staatsoper einst die "Hérodiade" von Massenets ausgestattet.
Bertrand de Billy dirigierte im Burggarten das Staatsopernorchester - höchst dynamisch, die Stimmung der jeweiligen Werke perfekt einfangend, er ist auch ein idealer Sängerbegleiter mit einem enorm breiten Repertoire. Eine Freude, ihn mit dem "Walkürenritt" oder beim "Matrosenchor" aus dem "Fliegenden Holländer" zu hören (großes Lob an den Staatsopernchor), für die "Fledermaus" hat er auch den richtigen Esprit.
Als Solisten hatte die Staatsoper eine beachtliche Starriege aufgeboten: Jonas Kaufmann, Elīna Garanča, den französischen lyrischen Tenor Benjamin Bernheim, der mittlerweile zu den besten Sängern der Welt zählt, dazu Camilla Nylund als Einspringerin für die erkrankte Sonya Yoncheva und den Bariton Boris Pinkhasovich. Auch Mitglieder des Opernstudios waren zu hören, dazu etwa 30 Kinder aus der Opernschule (bei "Carmen"-Auszügen) - die Staatsoper zeigte also ihre ganze künstlerische Bandbreite.
Zu hören war ein Mix aus Werken, die in dieser Saison gespielt werden, viel Französisches, dazu Mozart ("Figaro" und "Soave sia il vento" aus "Così fan tutte"), Wagner, Verdi und Johann Strauss, dessen 200. Geburtstag in diesem Jahr gefeiert wird. Beim Finale sangen Kaufmann, Garanča und Bernheim "Fledermaus" - so muss Operette, wenn man so sagen darf.
Definitiv ein Höhepunkt war die "Perlenfischer"-Arie "Je crois entendre encore", gesungen von Bernheim mit stilistischer Eleganz, nobler Zurückhaltung, Klarheit in der Höhe und traumhaft schöner Phrasierung. Ebenso "E lucevan le stelle", die Arie des Cavaradossi aus "Tosca", prachtvoll gestaltet von Kaufmann, mit wunderschönen Bögen und seinem mitreißenden Timbre. Dass er sogar das Duett aus "Don Carlo" immer noch singt, ist beachtlich.
Garanča begeisterte mit Arien aus "Adriana Lecouvreur" und "Damnation des Faust" (die Oper von Berlioz wird in der kommenden Spielzeit zum ersten Mal überhaupt an der Staatsoper zu hören sein). Ein persönliches Highlight für Ihren Rezensenten: Der "Abendsegen" aus "Hänsel und Gretel" von Engelbert Humperdinck, gesungen von Garanča und Nylund - das ist wahrer Luxus.
Vielleicht war die Zusammenstellung des von Barbara Rett und Bogdan Roščić ausführlich moderierten Programmes etwas zu bunt und dadurch sprunghaft, aber wen stört das schon. Schön jedenfalls, dass es nicht nur Hits und das übliche Jukebox-Medley gab, sondern viel Anspruchsvolles.
Mit dem Konzert wurde jedenfalls nicht nur die Saison inoffiziell eröffnet, sondern auch der Wiedereröffnung der im Krieg zerstörten Wiener Staatsoper vor 70 Jahren gedacht. Rund um den Jahrestag am 5. November ist da noch einiges zu erwarten.
Kaum jemand, der nicht glücklichen Gesichtes den Burggarten verließ. Eine äußerst gelungene Premiere.

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