So ist die große Leonardo-Schau im Louvre: Malerei als Erkenntnis
Es heißt, wir leben in einer Zeit der Bilder. Es gibt „bildgebende Verfahren“, mit denen wir ins Weltall blicken oder versuchen, die Funktionsweisen des denkenden Gehirns zu ergründen. Wir sind also weit gekommen. Und dann stehen wir vor einem winzigen, mehr als 500 Jahre alten Zettel voller Zeichnungen und denken: Unsere Zeit hat überhaupt nichts verstanden.
Die Ausstellung zu Leonardo da Vinci, die der Louvre zum 500. Todesjahr des Renaissance-Genies ausrichtet, ist ein globales Medienereignis und wird bis zum 24.2. 2020 von hunderttausenden Menschen gestürmt werden – Voranmeldung ist Pflicht, viele Zeitfenster sind schon lange ausgebucht.
Leonardo da Vinci im Louvre
Leonardo da Vinci im Louvre
Leonardo da Vinci im Louvre
Leonardo da Vinci im Louvre
Leonardo da Vinci im Louvre
Leonardo da Vinci im Louvre
Leonardo da Vinci im Louvre
Leonardo da Vinci im Louvre
Die Aura der Originale
Und doch ist es eine Schau, die dem Blockbuster-Denken zuwiderläuft. Selfie-Gelegenheiten sind rar, viele Highlights der Schau sind Werke auf Papier und lassen sich nicht einmal ordentlich reproduzieren. Das beglückende Erlebnis beim Besuch entspringt unzähligen Details, die von der Neugier Leonardos, seinem Durst nach der Welt und dem Leben in ihr erzählen. Und Auge in Auge mit den alten Papieren, Holztafeln und Kartons beglückt der Umstand, dass sich die Zeugnisse dieser Neugier bis heute erhalten haben: Die Aura des Originals ist ein sturer Bock, sie widersetzt sich der technischen Reproduktion.
Die Kuratoren Vincent Delieuvin und Louis Frank hängen Leonardo keine tausend Mäntelchen um: Der vielseitig Begabte ist bei Ihnen in erster Linie Künstler, und zwar einer, der die Malerei als Mittel der Erkenntnis nutzte.
Die Entwicklung Leonardos ist in der Schau recht linear erzählt: Von seiner Frühzeit als Schüler des Bildhauers Andrea del Verrocchio, aus der eine Reihe faszinierender Faltenwurf-Studien erhalten sind, führt der Parcours über seine Zeit als Hofkünstler in Mailand zu teils unrealisierten Projekten in Florenz um 1500 und zu seinen letzten Tagen in Frankreich. Dass Leonardo so manches Bild – etwa den „Heiligen Hieronymus“ von 1480/’82 – unvollendet ließ, lag laut Kuratoren nicht daran, dass den Künstler nur die Idee und nicht die Ausführung interessierte: Vielmehr, so eine zentrale These der Schau, habe seine „Wissenschaft der Malerei ihren Ausdruck in einem endlos ausgedehnten Vollendungsprozess erfahren.“
Rastlose Suche
Leonardo zu sehen, bedeutet also, einer ständigen Suche beizuwohnen (und sich darin vielleicht mit seinem eigenen Suchen zu finden): Alles ist immer in Bewegung. Zu spüren ist diese Unrast etwa in einem grandiosen, zweiseitig bezeichneten Blatt aus dem Besitz der britischen Queen, auf dem eine Madonna, ein alter Mann im Profil, zwei Kämpfende und noch einiges mehr zu sehen sind – die Erfindungsgabe ist umwerfend, und noch immer wirkt es so, als hätte Leonardo nur gerade schnell den Stift weggelegt.
Doch auch hinter den Gesichtern der Menschen, die Leonardo darstellte, scheint es zu rumoren.
Das mysteriöse Poster-Girl der Ausstellung – abseits der Mona Lisa, die nicht in der Sonderschau, sondern an ihrem angestammten Platz hängt – ist „La Belle Ferronière“: Nicht nur der Gesichtsausdruck, auch die zarte Haut und das Gewand der um 1497 porträtierten Hofdame nimmt den Blick für gefühlte Ewigkeiten gefangen.
Lange tot, aber lebendig
Dass die Fallhöhe zwischen Leonardos Dynamik und dem Bildvokabular von heute so heftig spürbar wird, hat die Schau selbst mit verschuldet: Die Virtual-Reality-Kammer, in der man einer hölzernen 3-D-Mona Lisa begegnet (siehe unten), ist eine große Niederlage, man staunt allenfalls, wie sehr die Technik bei künstlerischem Inhalt Lebendigkeit vermissen lässt.
In der Schau selbst wird die Infrarotreflektografie in (zu) großem Umfang genutzt: In Originalgröße reproduzierte Aufnahmen von Leonardos Gemälden sind eher ein Trick, um nicht zu kleinteilig zu wirken und den Umstand zu kaschieren, dass einige berühmte Gemälde nicht vorhanden sind (siehe unten).
Elf Gemälde
Die wichtigsten Ölbilder bleiben die fünf des Louvre, mit vier weiteren eigenhändigen Bildern und zwei Versionen der „Madonna mit der Spindel“, bei der die Werkstatt mitarbeitete, zählt man also elf „Leonardo-Gemälde“.
179 Exponate weist der Katalog aus. Und wie großartig ist es, neben der „Anna Selbdritt“ einmal die großen Vorzeichnungen aus der National Gallery London zu sehen. Oder jene wunderbaren Frauenköpfe, mit denen sich Leonardo an die „Leda“ oder die „Madonna in der Felsengrotte“ herantastete. Das ständige Bemühen, das Leben einen Moment lang in Balance zu halten, fasziniert wohl auch jene, die sich sonst nichts aus historischer Kunst machen: Die Welt ist eben kein Meisterwerk, es gilt, an ihr zu arbeiten.
Neuer Blick auf die "Mona Lisa"
Die These, dass sich Leonardo da Vinci nicht mit der oberflächlichen Erscheinung der Dinge zufrieden gab, nahm sich der Louvre auch in Forschung und Vermittlung zu Herzen: So nimmt die Untersuchung bekannter Gemälde mit dem Verfahren der Infrarotreflektografie breiten Raum ein. Diese Technik erlaubt Blicke auf die Kohle-Unterzeichnung und gibt Aufschluss darüber, wie der Künstler sein Bild anlegte und welche Elemente er wieder verwarf.
Für das Publikum werden diese Erkenntnisse mit einer Virtual-Reality-Anwendung aufbereitet. „Mona Lisa: Beyond the Glass“ ist das erste derartige Angebot des Louvre, es soll neue Blicke auf die „Mona Lisa“ erlauben.
Das Angebot kann für User der von den Herstellern Vive Arts und Emissive entwickelten Software auch außerhalb des Museums genutzt werden. Der Test des KURIER enttäuschte allerdings: Die 3-D-Spielerei, bei der die Lisa del Giocondo als Figur aus dem Rahmen tritt, erscheint wie eine Marionette, Inhalte werden zwar kurzweilig vermittelt – bei einem Museum dieseds Kalibers hätte man aber mehr erwartet.
Das 1503 gemalte Porträt ist das Aushängeschild des Louvre, das im Museumsbetrieb hinter Glas präsentiert und tagtäglich von Tausenden Touristen belagert wird. Es wanderte nicht in die Räume der Jubiläumsausstellung, dafür würde der angestammte Aufstellungsort renoviert.
Die Louvre-Schau: Feierstunde mit schwieriger Vorgeschichte
Der Weg zur Jubiläumsschau war steinig: Denn obwohl Leonardo da Vinci 1519 im Schloss Cloux nahe der Loire in Frankreich starb und der königlichen Sammlung dort Meisterwerke hinterließ, die heute im Louvre lagern, wirkte er den Großteil seines Lebens in Italien.Die dortige Rechts-Regierung spreizte sich dagegen, Leihgaben nach Frankreich reisen zu lassen. So muss die Louvre-Schau ohne die „Verkündigung“ von 1472, Leonardos bekanntestes Frühwerk, auskommen.
Auch um die berühmte Zeichnung des „Vitruvianischen Menschen“ (siehe Ausstellungsfoto links) herrschte bis zuletzt Tauziehen, erst vor kurzem gab ein italienisches Gericht aus der Accademia Florenz das Bild frei.Ein Kulturschutzverein namens Italia Nostra (Unser Italien) hatte gegen die Herausgabe des Kulturguts geklagt.
Das größte Rätselraten verursachte wohl das Gemälde „Salvator Mundi“, das 2017 den Rekordpreis von 450 Millionen US-Dollar erzielt hatte. Die Louvre-Kuratoren erkennen das umstrittene Bild grundsätzlich als ein Werk Leonardos an und stellten auch eine Leihanfrage, die aber bis zuletzt nicht positiv beantwortet wurde.
So startet die Schau nun ohne das Werk. Die Kuratoren schlossen gegenüber dem Art Newspaper aber zuletzt nicht aus, dass das Bild, sollte sein Eigentümer noch einer Leihgabe einwilligen, noch während der Laufzeit in die Schau kommen könnte.
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